Studie sieht eine Million Jobs bedroht – falls CO2-Ziele für Autobranche fallen

Wohin steuert Europas Autobranche? Für den 12. September hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die führenden Köpfe der Branche nach Brüssel eingeladen. 

Industrievertreter werden dort ihre Vorstellungen darlegen, wie die Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige europäische Automobilindustrie aussehen sollten. Im Mai hatte dazu bereits der Verband der Automobilindustrie (VDA) einen "10-Punkte-Plan" vorgelegt. Er sieht im Kern ein Festhalten an den Regulierungszielen vor, fordert jedoch gleichzeitig mehr Flexibilität bei der Wahl der Technologie, die dorthin führen soll.

Aber auch kritische Begleiter wie die Nichtregierungs-Organisation Transport & Environment (T&E) nehmen an dem Treffen teil. Die Organisation befürchtet einen "Roll back" der Emissions-Regulierung und warnt für diesen Fall vor dramatischen Folgen für die Beschäftigung.

Im Vorfeld des strategisch wichtigen Treffens hat T&E eine aktuelle Studie veröffentlicht, die ein Horrorszenario entwirft – falls die europäische Politik die CO2-Regulierung aufweichen sollte. 

Umgekehrt sieht die Studie Hoffnung auf einen neuen Aufschwung der Autobranche in Europa. Dafür müssten allerdings die Weichen klar und kompromisslos Richtung E-Mobilität gestellt werden. Dann könnten in Europa wieder bis zu 16,8 Millionen Fahrzeuge pro Jahr produziert werden – so viel wie zum historischen Höchststand nach der Finanzkrise im Jahr 2008.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht dies allerdings völlig anders und begrüßt die Flexibilisierung.

In der Studie "Europe's Automotive Industry is at a Crossroads" kommen die T&E-Analysten zu dem Schluss, dass ein Aufweichen der CO2-Flottengrenzwerte und das Ausbleiben umfassender industriepolitischer Maßnahmen bis 2035 zu einem Schwund der automobilen Wertschöpfungskette in Europa von 90 Milliarden Euro führen könnte. Dies würde "zu einem Verlust von bis zu einer Million Arbeitsplätzen" führen, meint die Nichtregierungs-Organisation. 

Zudem könnten in einem solchen Szenario bis zu zwei Drittel der geplanten Batterieinvestitionen in der EU verloren gehen. Zugleich würde die Ladeinfrastrukturbranche in den nächsten zehn Jahren potenzielle Einnahmen in Höhe von 120 Milliarden Euro nicht verbuchen können. Allerdings sind viele europäische Projekte, darunter Northvolt, zuletzt gescheitert oder wurden aufgeschoben.

"Nur wenn die Flottengrenzwerte bestehen bleiben und die Industrie durch gezielte Nachfrageinstrumente unterstützt wird, können wir im globalen Wettbewerb bestehen", fasst T&E-Deutschlandchef Sebastian Bock die Botschaft der Studie zusammen. 

Halte die EU-Kommission an den festgelegten Emissionsgrenzen für 2035 fest, und unterstütze sie mit zusätzlichen industriepolitischen Maßnahmen die Transformation der Autobranche, dann könnte die europäische Automobilproduktion im Jahr 2030 wieder auf ein Produktionsvolumen von 15,2 Millionen Einheiten kommen und bis 2035 sogar von 16,8 Millionen Einheiten. 

Damit würden in Europa dann wieder so viele Fahrzeuge gebaut wie zum historischen Höchststand nach der Finanzkrise im Jahr 2008. 2024 war die PKW-Produktion in der EU um 6,2 Prozent auf 11,4 Millionen Einheiten gesunken – am stärksten in Italien, wo 43,4 Prozent weniger Autos gebaut wurden.

Einen wichtigen Beitrag zu mehr automobiler Wertschöpfung und zu neuen Jobs im Fahrzeugsektor sieht die Studie im Aufbau einer wirklich europäischen Batterieproduktion. Dadurch könnten Jobverluste beim Bau von E-Autos wettgemacht werden. 

Stelle die Politik die richtigen Weichen, dann sei mit gut 100.000 neuen Arbeitsplätzen in der Batteriefertigung bis 2030 sowie mit 120.000 neuen Stellen im Bereich der Ladeinfrastruktur bis 2035 zu rechnen, lautet das Positiv-Szenario von T&E.

Halte diese an den Flottengrenzwerten fest und ergreife zusätzlich "industriepolitische Maßnahmen", so könnten in Europa bis 2030 bis zu 900 GWh Batterien pro Jahr produziert werden statt derzeit nur 187 GWh. 

Außerdem könnte dann die Wirtschaftsleistung der Ladeinfrastruktur-Branche bis 2035 nahezu auf 79 Milliarden Euro jährlich verfünffacht werden.

Für industriepolitisch geboten hält T&E Produktionshilfen für Batterien in EU- und nationalen Förderprogrammen, kombiniert mit Anreizen zur Nutzung von Komponenten und Materialien aus europäischer Herstellung.

Kopfschütteln lösen die Schlussfolgerungen der Studie allerdings beim deutschen VDA aus. Sprecher Simon Schütz sagte der Automobilwoche, Transport & Environment gebe keine Antwort auf die zentrale Frage, wie die europäische Autobranche angesichts der andauernden mangelnden Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Standorts in Europa künftig noch gewinnbringend produzieren könne. 

In der Studie gebe T&E selbst an, dass alle Modelle auf Annahmen basieren. Dazu gehöre auch die Annahme, dass eine schärfere Regulierung Jobs und Wachstum schaffe. Dies sei aber für den VDA nicht nachvollziehbar.

Die deutsche Automobilindustrie investiere enorme Summen, betont Schütz. "Allein von 2025 bis 2029 stehen Investitionen in Höhe von rund 320 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung an. Hinzu kommen etwa 220 Milliarden Euro in Sachinvestitionen, insbesondere in die Werke. Die Produktionskapazitäten für einen massiven Hochlauf der Elektromobilität sind geschaffen. In diesem Jahr werden voraussichtlich über 40 Prozent der in Deutschland produzierten Autos elektrisch angetrieben sein." Dies liegt deutlich über dem aktuellen E-Anteil auf dem EU-Markt von rund 25 Prozent.

"Letztlich muss Klimaschutz auch ein lohnendes Geschäftsmodell sein, wenn er nachhaltig funktionieren soll", betont der Sprecher des Verbandes und verweist auf den 10-Punkte- Plan des VDA.