München. Opel geht jetzt aufs Ganze, im Wortsinn. Beim neuen Adam dürfen die Kunden ab August nächsten Jahres aus "schier unbegrenzten Farb-, Stoff- und Dekorkombinationen" auswählen, wie Design-Direktor Malcolm Ward erklärt. Mehr als 30.000 verschiedene Ausstattungsvarianten sollen es sein, so hat man in Rüsselsheim ausgerechnet. Vor allem auch im Fahrzeuginnenraum dürfen und sollen bei der anvisierten "Lifestyle"-Klientel des Adam keine Wünsche offen bleiben: Ob Sitzbezüge in "Mojito-Green", bunte Armaturenbretter oder der Dachhimmel "Sky" mit Wolkenmuster und 63 leuchtenden Sternlein – bei Opel setzt man auf bunte Vielfalt. Die Strategie, so exaltiert sie für das sonst nicht als flippig geltende Rüsselsheimer Unternehmen erscheinen mag, entspricht dem allgemeinen Interieur-Trend: dem Kunden möglichst viel bieten – egal, ob er's braucht oder nicht. "Für den Hersteller ist die Vielfalt der Ausstattungsvarianten ein wichtiges Marketing-Instrument", sagt Design-Professor Paolo Tumminelli. "Im Verkaufsgespräch muss der Eindruck entstehen, dass man ihm, dem Kunden, nun den Traum seines Lebens erfüllt" (siehe auch Interview unten).
Der Trend zur extremen Individualisierung ist daher nicht nur bei Opel, Mini oder im Fiat 500 zu sehen, auch bei den klassischen Limousinen von BMW, Audi oder Mercedes kann der Käufer zwischen einer immer größer werdenden Vielzahl von Interieur-Optionen wählen. Dabei steht der Motor hinter dem Varianten-Mix nicht immer nur in der Marketing-Abteilung wie bei Opel. Viele Interieur-Zulieferer bieten – meist entsprechend des Lastenhefts des Auftraggebers – vermehrt besonders leichte und umweltbewusste Produkte für den Innenraum an. "Lösungen für Leichtbau und zur CO2-Reduktion", wie es bei Systemlieferant Dräxlmaier aus Vilsbiburg heißt, sind ein wichtiges Geschäftsfeld. So wird an neuen "Bioverbundstoffen" geforscht, die so stabil und hochwertig seien wie herkömmliche Kunststoffprodukte, aber eben "grün" und viel leichter. So würden nachhaltige Stoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wie der Kenaf-Pflanze laut Isabella Schmiedel, Leiterin Technologie und Innovationsmanagement bei Dräxlmeier, "neue Maßstäbe setzen. Allein schon deshalb, weil wir auf die Folienkaschierung verzichten können." Denn solche Materialien würden nicht nur die Ökobilanz neuer Fahrzeuggenerationen "deutlich verbessern", wie es bei Dräxlmaier heißt, sondern sähen auch gut aus. Eingesetzt werden ultra-leichte Bio-Türverkleidungen aus Kenaf-Fasern unter anderem in der aktuellen Siebener-Baureihe von BMW. Bis zu drei Kilo Gewichtersparnis soll der neue Stoffmix pro Fahrzeug bringen.Das Wünsch-Dir-was-Auto
Doch gerade bei solchen Oberklasse-Limousinen zählt neben der Ökobilanz vor allem auch ein gewisses "Wohlfühlambiente", wie Design-Experte Tumminelli sagt. Und da ist derzeit Leder im Aufwind. Interieur-Zulieferer Johnson Controls etwa kaufte vor zwei Jahren extra den Lederausstatter Seton auf, um diesem Trend gerecht zu werden. "Leder-Oberflächen sind ein wichtiger Wachstumsmarkt", sagt Han Hendriks. Vice President Advanced Product Development Automotive Electronics & Interiors. "Look und Feel" von Oberflächen würden immer wichtiger, und zwar über alle Fahrzeug-Klassen hinweg, besonders bei Sitzen sowie Cockpit- und Türverkleidungen." So ist zum Beispiel bei der Mercedes-B-Klasse auch das Instrumenten-Panel mit Lederbezug zu bekommen. "Das symbolisiert Handwerkskunst – und es erfordert ein höchstes Maß an Materialexpertise, um das Leder in Verbindung mit anderen Materialien nahtlos zu integrieren", so Hendriks.
Diese handwerkliche Expertise ist es, aus der viele hochtechnisierte Zulieferer-Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil ziehen. Gerade bei einer Vielzahl von Materialien, Farben und Accessoires "muss alles hundertprozentig aufeinander abgestimmt sein", sagt Elisabetta Güttler, Europasprecherin beim US-Zulieferer IAC. Deshalb vergeben die Autohersteller Interieur-Aufträge gerne an einen oder nur wenige Zulieferer. So baute IAC eigens eine neue Produktionsstätte für Türverkleidungen, Instrumententafeln und Dachhimmel in Rumänien in unmittelbarer Nähe zum Ford-Werk, in dem der neue B-Max vom Band läuft. "Der Umgang mit Materialien, die Farbabstimmung – wenn alles aus einer Hand kommt, gibt es keine Fehler in der Abstimmung unterschiedlicher Komponenten", so Güttler. Ob man denn, wenn ein Autohersteller plötzlich 30.000 verschiedene Ausstattungsvarianten anbiete, die Produktionsabläufe und Lagerkapazitäten anpassen müsse? "Nein", sagt die IAC-Unternehmenssprecherin. "Die Prozesse bleiben die gleichen, komplexer wird's natürlich allein dadurch, dass die Menge an zu liefernden Produkten steigt." Und ein weiteres Prinzip bleibe immer gleich: "Was der Kunde haben will, das bekommt er."