Rüsselsheim. Warum tut sich Karl-Thomas Neumann das an? Das fragen sich derzeit viele Beobachter der Automobilbranche. Der Chefposten bei Opel gilt als Schleudersitz mit besonders kurzen Auslösezeiten. Eine ganze Riege von Vorgängern kann davon ein Lied singen. Das Schwierige an diesem Job? Da wären 16,1 Prozent Absatzeinbruch im Heimatmarkt, 15,6 Prozent europaweit, ein Markenimage im Keller. Täglich werden immer weniger Neufahrzeuge, dafür umso mehr Negativschlagzeilen produziert. Es steht die undankbare Aufgabe an, Massenentlassungen umzusetzen. Tausende Opelaner haben innerlich ohnehin längst gekündigt. Für diesen Job braucht es jede Menge Motivation und Leidensfähigkeit. Wer nur die Schlagzeilen liest, sieht in der Tat kaum Entwicklungen, die Mut machen. Doch es gibt auch Aufmunterndes: Immerhin ist Opel noch immer die drittgrößte Marke in Europa.
Die Modellpalette ist breit, Markenbekanntheit und Markenhistorie sind grandios. Die jüngsten Neuheiten, der Mokka aus Korea und der Adam aus Eisenach, kommen gut an, und etliche neue Modelle wie der Cascada und der Insignia- Nachfolger stehen bereit. Dazu hat Opel ein starkes Standbein in der Gasantriebtechnologie und eine respektable Elektro- Kompetenz. Dass es nicht nur bergab geht, zeigt die Schwestermarke Vauxhall: Sie war 2012 nach Ford die Nummer zwei in Großbritannien und die am schnellsten wachsende Marke auf der britischen Insel. Opel-Aufsichtsratschef Stephen Girsky zählt diese Fakten auf, wenn er seine Truppe motivieren will. Die Marke mit dem Blitz werde "die erfolgreichste Comeback- Story in der Geschichte der europäischen Automobilindustrie“ schreiben, rief er im Dezember bei einer internen Führungskräftetagung in der Mainzer Coface- Arena den Verantwortlichen zu. Schluss mit dem Kleinmut der vergangenen Jahre, mit Verliererimage, Routine, Trägheit und Frust, schleuderte der Ex-Börsianer den Opelanern entgegen. Eine ganz neue Unternehmenskultur müsse her, diagnostizierte Girsky und forderte eine "challenge attitude“ – eine Haltung, den Stier endlich bei den Hörnern zu packen, die ihm bislang viel zu oft gefehlt hat in Rüsselsheim. "We will find a way – or we make one!“, ruft Girsky. "Die hohen Erwartungen von GM an Opel sind nicht überzogen“, urteilt Willi Diez, Direktor des Instituts für Automobilwirtschaft (IFA). "Das Jahr der Wahrheit wird für Neumann 2014 kommen, wenn Europa wieder aus der Talsohle heraus ist.“ Dann könne es keine Ausflüchte mehr geben. Etliche neue Produkte seien dann auf dem Markt, und Opel müsse beweisen, was die Marke noch stemmen kann. Als Schlüssel zum Turnaround sieht Diez die Entwicklung eines modularen Baukastensystems ŕ la Volkswagen. "Opel muss so etwas wie den MQB hinbekommen, nur dann ist die Marke wettbewerbsfähig aufgestellt.“Ein Baukastensystem ermöglicht eine große Zahl an Modellen mit vergleichsweise wenigen Komponenten. "Opel hat nicht zu wenig Technologie, sondern zu viele Solitär-Produkte und eine zu geringe Effizienz in der Produktion“, urteilt Diez. Den Mann für diese Aufgabe hat Girsky jetzt gefunden: Neumann, gestählt bei Volkswagen in China und in den Machtkämpfen bei Continental Rüsselsheim könnte den neuen Opel- Chef auch in die absolute Spitze der europäischen Wirtschaft katapultieren. Die Autobranche dürfte derzeit keinen Job bereithalten, in dem ein Manager eher zum Star werden kann als den bei Opel. Alle Augen sind auf den neuen Opel- Chef gerichtet. Schafft Neumann den Turnaround, wird er zum Retter von Rüsselsheim. Scheitert er, dann wird ihm niemand vorwerfen können, nicht wenigstens in die Schlacht gezogen zu sein. Trotzdem wäre es ein Euphemismus, die Herausforderung nur sportlich zu nennen. Auf Neumann wartet eine Herkulesaufgabe. Eingequetscht zwischen den wachsenden Premium- und Low- Cost-Segmenten, muss Opel seine Existenzberechtigung im Volumenmarkt wieder unter Beweis stellen.Eile tut not, denn die dreistelligen Millionenverluste will die Mutter General Motors in spätestens vier Jahren auf null reduziert haben – das bekam Neumanns Vorgänger Karl-Friedrich Stracke zu spüren. Die Rüsselsheimer haben nur noch diesen einen Schuss. Scheitert Neumann, so wird hinter vorgehaltener Hand getuschelt, könnte es mit einer eigenständigen Marke Opel vorbei sein. Möglich wäre dann ein Verbund mit PSA Peugeot Citroën, selbst eine Fusion mit den Franzosen schließt mancher Branchenexperte nicht aus. Und sei es als bloßer Technologielieferant im GM-Konzern. Branchenexperte Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive Management (CAM), rät dem neuen Opel-Chef zur ungeschminkten Eröffnungsbilanz: "Ohne realistische Planung und Verzicht auf unerreichbare Volumenziele wird Opel nie aus der Verlustzone herauskommen.“Für eine erfolgreiche Neuaufstellung müsse Neumann drei Bälle jonglieren: "Zunächst geht es um die Kostenreduzierung. Aber sparen allein hilft nicht – Opel muss laufend neue, attraktive Modelle auf den Markt bringen.“ Als dritte Herausforderung sieht Bratzel die Positionierung von Opel im GM-Konzern. Höchste Priorität müsse dabei die Entwicklung eines Modulbaukastens in den kommenden fünf Jahren haben, rät auch er. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research (CAR), fügt eine weitere Herausforderung hinzu: den Faktor Mensch. Die Frage sei, ob Neumann, der bekannt dafür ist, offensiv seine Meinung zu vertreten, gut mit Aufsichtsratschef Girsky und dem Mutterkonzern harmoniere. "Die Frage ist letztlich, welchen Einfluss hat Neumann als Opel-CEO tatsächlich?“Neustart mit Neumann
Warum tut sich Karl-Thomas Neumann das an? Das fragen sich derzeit viele Beobachter der Automobilbranche. Der Chefposten bei Opel gilt als Schleudersitz mit besonders kurzen Auslösezeiten. Eine ganze Riege von Vorgängern kann davon ein Lied singen. Das Schwierige an diesem Job? Da wären 16,1 Prozent Absatzeinbruch im Heimatmarkt, 15,6 Prozent europaweit, ein Markenimage im Keller.