Der finanzielle Schaden hält sich für Pirelli in Grenzen, weil die Winterwette über eine Versicherung abgedeckt ist, die nun die Zeche zahlen muss. Dennoch ist der warme Winter für die Reifenhersteller und vor allem für deren Händler eine Katastrophe. Bei ihnen türmen sich die Reifen, nahezu jede Wettervorhersage wird für sie zur Hiobsbotschaft. Viel zu selten mussten die Meteorologen in der Hauptverkaufszeit zwischen Oktober und Januar das Schneeflockensymbol auf die Deutschlandkarte projizieren.
Dabei hatte im Oktober der Verkauf sehr gut begonnen. Vor manchem Reifenhändler stauten sich die Fahrzeuge. Die Nachfrage war so groß, dass der Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk (BRV) die Hersteller dazu aufforderte, mehr Winterpneus zu produzieren. Schließlich hatte die Reifenindustrie wegen der Novelle der Straßenverkehrsordnung auf ein stark steigendes Geschäft mit den Winterreifen gehofft. Denn seit Mai ist jeder Autofahrer verpflichtet, sein Fahrzeug "den Witterungsbedingungen entsprechend" auszurüsten. Mancher wollte in dieser Formulierung eine Winterreifenpflicht erkennen, die der Gesetzgeber aber gar nicht formuliert hatte.
Die Bestellungen fielen jedenfalls optimistisch aus: 28,4 Millionen Winterreifen haben sich die deutschen Händler liefern lassen, inklusive der Importe außereuropäischer Anbieter. Im Vergleich zum Vorjahr (24,2 Millionen) bedeutet dies ein Plus von 16,2 Prozent. "Das ist gigantisch", kommentiert BRV-Vorsitzender Peter Hülzer. "Aber die Reifen sind noch nicht alle am Auto, sondern teilweise noch in den Läden", so Hülzer weiter. Einige Händler haben bis zu 30 Prozent mehr Winterreifen geordert als im Vorjahr. Der BRV schätzt, dass noch 2,7 Millionen Winterreifen bei den Händlern lagern. Eine eher vorsichtige Schätzung, denn andere Experten taxieren den Reifenberg auf vier bis fünf Millionen Winterpneus.
Selbst der BRV-Vorsitzende hat die Hoffnung auf ein spätes Wintergeschäft aufgegeben: "Wenn zum Jahresbeginn noch keine Schneedecke liegt, dann passiert auch nicht mehr viel. Sollte es im Januar oder Februar noch an einigen Tagen schneien, nehmen viele Autofahrer lieber die Straßenbahn, als ihre Reifen wechseln zu lassen." Dabei greifen die großen Reifenhändler schon nach jeder Schneeflocke. Als im Januar in Sachsen und Süddeutschland Schnee fiel, hat Auto-Teile-Unger ihn gleich mit "Schnäppchenpreisen für Winterreifen" empfangen. Rabatte von bis zu 25 Prozent auf Winter-Alu-Kompletträder machen deutlich, wie groß der Druck auf die Werkstattkette ist.
Das Winterende bedeutet für die Reifenindustrie aber noch lange nicht das Ende der Wintermisere. Denn der schwache Absatz hinterlässt bei den Händlern leere Kassen, aber volle Regale. Im Sommer wird Platz für die Sommerpneus fehlen. "Das Problem wird dadurch noch verschärft, dass immer mehr Kunden ihre Reifen einlagern lassen. Auch dieser Platz fehlt uns natürlich", sagt Ralf Maurer, Geschäftsführer der Reifenhandelskette Point S.
Nun hoffen die Händler auf das Entgegenkommen der Hersteller. "Der einfachste Weg wäre ein Tausch der Winterreifen gegen Sommerreifen. Das machen die Hersteller zwar nicht aus Nächstenliebe, aber sie müssen ja auch ihre Sommerreifen wieder verkaufen können", sagt Maurer. Auch Hülzer ruft die Industrie auf, die Händler zu unterstützen: "Es kann nicht im Interesse eines Herstellers sein, den Handel betriebswirtschaftlich ausbluten zu lassen." Deshalb sollten die Händler ihre nicht verkaufte Ware wieder zurückgeben können. "Allerdings ist die Bereitschaft zur Rücknahme in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen", sagt Hülzer.