Herr Schaufuss, Renault-Chef Carlos Ghosn sagte neulich, er könnte mehr E-Autos verkaufen, wenn die Zulieferkette nicht so unter Druck wäre. Wie sehen Sie das?
Tatsächlich beobachten wir, dass die Lieferzeiten für Elektroautos derzeit sehr lang sind. Durchschnittlich müssen Kunden sieben Monate warten und damit mehr als doppelt so lange wie bei einem Verbrennungsmotor. Dies liegt sicher auch daran, dass die Lieferkette noch sehr wackelig ist.
Woran hakt es?
Ein Grund ist, dass hier viele neue Spieler auf den Markt treten. Der Chevy Bolt beispielsweise ist ein reines Elektroauto von GM, aber knapp 90 Prozent des Antriebsstrangs steuern LG und die Tochter LG Chem bei. Die Batteriehersteller können natürlich dann die Preise ein Stück weit diktieren. Daran lässt sich ablesen, wie sich die Gewichte verschieben. Diese neuen Strukturen müssen sich erst einpendeln.
Gibt es besonders kritische Komponenten?
In Europa ist vor allem die Batteriezelle problematisch. Schon jetzt ist klar, dass der Bedarf in den nächsten Jahren massiv steigen wird. Allein die deutschen Hersteller bringen 60 neue Elektromodelle in den nächsten drei Jahren auf den Markt. Die Kapazitäten für Batterien aber fehlen. Eine Fabrik von CATL in Thüringen ist hier nur der erste Schritt. Das Konsortium TerraE hat kürzlich seine Pläne für eine Fabrik sogar aufgegeben. Eine europäische Allianz ist derzeit noch nicht in Sicht. So geht die Schere zwischen Nachfrage und Angebot in Europa bald deutlich auseinander.
Ist das der einzige Flaschenhals?
Das gesamte System ist in Bewegung. Die Hersteller sitzen plötzlich am kürzeren Hebel, weilsie viele Komponenten des elektrischen Antriebsstrangs nicht selbst herstellen. Große Zulieferer entwickeln zwar zahlreiche Komponenten wie ganze Antriebsstränge oder Batteriemanagementsysteme, müssen aber ihrerseits Dinge, wie beispielsweise die Elektronikkomponenten, zukaufen. Neue Zulieferer in zweiter oder dritter Reihe kommen ins Spiel mit anderer Preissetzungsmacht. So gerät das Preisgefüge in der Industrie durcheinander und die Probleme ziehen sich durch die ganze Lieferkette.
Werden die Probleme den Hochlauf der E-Mobilität weiter bremsen?
Das ist kurzfristig sicher der Fall, da sich die Zulieferkette gerade neu formt, neue Kompetenzen benötigt werden und neue Zulieferer in zweiter oder dritter Reihe ins Spiel kommen. Langfristig wird aber die Frage in den Vordergrund treten, wie die Hersteller ein profitables Geschäftsmodell auf Basis der Elektroautos entwickeln können. Dazu müssen sie die Wertschöpfungskette neu definieren.
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