Tokio. Der Japan-Kenner und Demografie-Experte Florian Kohlbacher erklärt im Interview mit der Automobilwoche die Rolle Japans bei der weltweiten demografischen Entwicklung und die Erkenntnisse, die Automobilhersteller daraus gewinnen können.
Herr Kohlbacher, warum eignet sich ausgerechnet Japan als Testmarkt für die Automobilindustrie?
Japan ist weltweiter Vorreiter beim demografischen Wandel. Es ist sowohl was die Geschwindigkeit als auch was die Intensität angeht am stärksten betroffen. Folglich können hier die Autohersteller in einem überschaubaren Markt studieren, welche Bedürfnisse und Wünsche die ältere Generation hat und dies auf künftige Produkte und Märkte übertragen, denen eine ähnliche Entwicklung noch bevorsteht.
Warum ist der demografische Wandel überhaupt ein Wirtschaftsfaktor?
Aufgrund der geringen Geburtenrate und der gleichzeitig längeren Lebenserwartung nimmt der Anteil der über 50-Jährigen zu. Gleichzeitig geht die Bevölkerung absolut zurück. Diese Entwicklung sorgt dafür, dass neue Käufergruppen mit besonderen Wünschen entstehen, während angestammte Marktsegmente an Bedeutung verlieren.
Welche Länder sind neben Japan von diesem Wandel betroffen?
Diese Entwicklung ist generell in allen westlichen Industrieländern zu beobachten und auch nicht mehr umkehrbar. Selbst in manchen Schwellenländern zeichnet sich dieser Trend ab.
Gibt es weitere Gründe, warum Japan als Testmarkt geeignet ist?
Generell ist hier die technische Affinität und das Interesse an neuen Produkten sehr hoch. Das heißt, die Japaner probieren gerne etwas Neues aus und sind auch bereit, dafür Geld auszugeben. Deshalb bietet sich dieser Markt besonders an, um neue Ideen auszuprobieren. Außerdem stellen japanischen Kunden sehr hohe Ansprüche sowohl an die Qualität als auch an Funktion und Design. Gerade für Automobilzulieferer könnte Japan auch als Lernmarkt in Sachen Qualitätsstandards eine wichtige Rolle spielen.
In Japan richten sich die Unternehmen zunehmend auf den sogenannten Silber-Markt, also die Generation der über 50-Jährigen, ein. Welche Bedürfnisse hat diese Gruppe?
Der Silber-Markt ist als Schlagwort in Ordnung, tatsächlich ist diese Zielgruppe aber sehr heterogen. Da sind zum Beispiel die Menschen, die aufgrund ihres Alters eine besondere Unterstützung brauchen. Im Auto könnte das beispielsweise die Verbesserung der Nachtsicht oder Hilfe beim Einparken bedeuten. Auf der anderen Seite gibt es sehr aktive und finanziell gut ausgestattete Menschen, die sich nun im Alter das gönnen, was sie in jungen Jahren nicht realisieren konnten. So dürfte die Nachfrage nach Retro-Fahrzeugen künftig stark zunehmen. Generell geht dieser Konsum schon stark in Richtung Luxus.
Wie spricht man als Unternehmen die Silber-Generation an, ohne sie zu verprellen?
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die meisten Leute fühlen sich rund zehn Jahre jünger als sie tatsächlich sind und wollen sich nicht mit dem negativ belegten Wort Alter identifizieren. Viele Firmen setzen deshalb auf das sogenannte altersneutrale Marketing. Dabei steht nicht das Alter, sondern ein bestimmter Lebensstil im Vordergrund.
In Japan wenden sich viele junge Leute ganz vom Auto ab. Ist auch dieser Trend auf andere Regionen übertragbar?
Dies ist vor allem in der Metropole Tokio der Fall und könnte auch in anderen Großstädten der Welt so kommen. Dass es sich dabei um einen generellen Trend handelt, ist derzeit nicht feststellbar.