Herr Wolf, wie wichtig ist die Eigenständigkeit für Vitesco Technologies?
Die Selbständigkeit macht uns agiler und schneller. Andere Strukturen, kürzere Entscheidungswege und mehr Sichtbarkeit als eigene Marke bieten den Vorteil, besser auf die Marktentwicklungen reagieren zu können. Unser Ziel ist es, eine aktive Rolle in der Konsolidierung des Antriebsgeschäfts zu spielen. Dabei fokussieren wir uns klar auf Elektrifizierung und E-Mobilität. Daher begrüßen wir die Entscheidung von Continental, uns in der zweiten Jahreshälfte 2020 im Rahmen eines Spin-offs komplett zu verselbständigen. So ist der Plan, und darauf arbeiten wir jetzt mit voller Energie hin.
Sie haben angekündigt, sich aus dem Hydraulikgeschäft zurückzuziehen. Dieser Schritt und auch Qualitätsthemen aus der Vergangenheit belasten das Unternehmen. Bleibt da noch genügend finanzieller Spielraum für Zukunftsthemen?
Ja. Wir haben uns ganz klar entschieden in Richtung Elektrifizierung zu gehen. Da machen wir keine Abstriche, sondern wollen die Ausgaben tendenziell noch erhöhen. Wir haben schon in den vergangenen Jahren mehr als zwei Milliarden Euro in die Elektrifizierung investiert. Davon profitieren wir heute – wir sind gut aufgestellt und haben starke Produkte im Portfolio für die E-Mobilität. Das Wachstum wollen wir aber deutlich ausbauen und beschleunigen, daher werden wir auch weiterhin mit einer hohen Taktrate in diesen Bereich investieren. Die nötige Finanzierungskraft holen wir aus unseren profitablen Bereichen, zum Beispiel dem Elektronik-Geschäft.
Wie wollen Sie die Kosten für Hybridfahrzeuge reduzieren, damit diese Antriebsart vom Autokäufer stärker nachgefragt wird?
Mit innovativen, aber bezahlbaren Lösungen für unsere Kunden. Gerade haben wir eine neue Hybridgetriebelösung präsentiert. Sie nutzt den integrierten E-Motor viel konsequenter, womit der Getriebeaufbau stark vereinfacht und damit deutlich günstiger werden kann. Das Bauteil passt für Plug-In- und Voll-Hybride und senkt deren Preis. Heute geht es um Systemverständnis und darum, die Komplexität im elektrifizierten Antriebsstrang zu reduzieren. Und genau da liegen unsere Stärken und Kompetenzen. Natürlich sinken Kosten auch durch höhere Stückzahlen bei größeren Serienanläufen. Es geht folglich nicht darum, beispielsweise fünf verschiedene E-Motoren oder Leistungselektroniken anzubieten, sondern jeweils ein Kernprodukt, das sich je nach Kundenwunsch modular nach oben oder unten skalieren lässt. Am Ende hängt alles daran, dass es uns gelingt, die richtigen Volumina pro Produkt zu erzeugen. Darauf – und auf die Bezahlbarkeit unserer Produkte – richten wir unseren Fokus.
Wie viel Reichweite muss der Hybrid in der Golf-Klasse schaffen?
Da muss man die üblichen Pendlerstrecken denken. Wenn 30 oder 40 Kilometer Reichweite batterieelektrisch unter normalen Bedingungen geschafft werden, also auch mit Heizung im Winter, dann sind wir auf dem richtigen Weg. In dieser Klasse wird der normale Konsument und nicht der Leasingwagenfahrer angesprochen. Bei den Fahrzeugen ist ja auch noch ein Verbrenner mit an Bord, so dass sich das Auto auch für Langstrecken eignet.
Sie hatten kürzlich einen Auftrag von PSA und Hyundai über einen voll integrierten E-Antrieb erhalten. Weitere Hersteller sollen folgen. Können Sie dazu schon Näheres sagen?
Die Kunden wollen mit unserer vollintegrierten elektrischen Antriebsachse vor allem den chinesischen Markt bedienen. Dort produzieren wir sie aktuell auch. Zu den weiteren Kunden können wir derzeit noch nichts sagen, nur so viel: das Interesse an unserer E-Achse ist sehr hoch.
Weltweit gibt es rund zehn Zulieferer, die solche E-Achsen liefern oder demnächst liefern wollen. Bleiben da genügend Aufträge für alle oder läuft das Geschäft auf einen Preiskampf hinaus?
Es ist ein rasant wachsender Markt. Branchenbeobachter gehen von einem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von mehr als 20 Prozent aus. Das ist schon eine Art Sonderkonjunktur. Es gibt also vorerst ausreichend Marktpotenzial für die Teilnehmer. Am Ende aber wird es darauf ankommen, wer das beste Produkt zum wettbewerbsfähigsten Preis anbieten kann. Vitesco Technologies wird zu den Gewinnern gehören.
Welchen Anteil am Kuchen wollen Sie erreichen?
Wenn wir in Märkte einsteigen, ist es immer unser Ziel weltweit zu den Marktführern zu gehören. Wo genau wir dann landen, lässt sich jetzt noch nicht abschätzen.
Wie groß ist der Markt für E-Achsen?
Der gesamte Elektrifizierungsmarkt wird in den nächsten fünf Jahren nach gängigen Studien ein Volumen von mehr als 30 Milliarden Euro erreichen. Dazu zählen E-Achsen, E-Motor, Inverter oder DC/DC-Wandler. Alle Produktfamilien, die wir für uns identifiziert haben, werden um die 30 Prozent wachsen. Wir sind also sehr gut aufgestellt, um von dieser Entwicklung nachhaltig profitieren zu können.
Schaeffler arbeitet auch an der E-Achse. Sind das getrennte Entwicklungen ihrer beiden Häuser?
Ja. Continental und Schaeffler sind getrennte Unternehmen. Die Schaeffler-Familie ist der Hauptaktionär von Continental und wird zum Zeitpunkt unseres Listings auch der Hauptaktionär von Vitesco Technologies sein. Was ich heute sagen kann, ist, dass wir Partnerschaften und Kooperationen grundsätzlich offen gegenüberstehen. Es kann durchaus sinnvoll sein, bestimmte Dinge gemeinsam zu machen. Das gilt nicht nur im Falle von Schaeffler.
Sie befürworten also eine stärkere Zusammenarbeit mit Schaeffler?
Nochmal: Ich würde es immer begrüßen, wenn Kräfte im Markt gebündelt werden. Etwa auf Gebieten, wo sich Unternehmen ergänzen und sich Doppelarbeit vermeiden lässt. Es geht letztlich darum, die Volumina zu bekommen, um die Veränderungen in Richtung E-Mobilität auch bezahlbar machen zu können. Nur große Unternehmen sind in der Lage, Milliarden in solche Entwicklungen zu stecken. Kleinere Zulieferer werden da eher das Nachsehen haben.
Welche Erwartungen haben Sie bei der Brennstoffzelle?
Wir glauben, dass die Brennstoffzelle eine Technologie der Zukunft sein kann. Wenn man das technisch in den Griff bekommt, und derzeit sieht es ganz danach aus, dann ist das eine tolle Technologie. Die Brennstoffzelle hat vor allem ihre Vorteile, wenn hohe Gewichte und große Distanzen ins Spiel kommen. Wir erwarten daher, dass die Brennstoffzelle zuerst im Lkw- und Busbereich kommt. In der zweiten Hälfte des Jahrzehnts rechnen wir dann auch mit stärkeren Volumina im Pkw-Markt, zunächst in den oberen Fahrzeugsegmenten. Auf das Thema Brennstoffzelle werden wir uns in den nächsten Monaten noch stärker konzentrieren. Forschungsaktivitäten laufen ja bereits.
Welche Pläne haben Sie im Batteriegeschäft?
Wir haben Batteriemanagementsysteme und verkaufen auch 48-Volt-Batteriepacks. Was wir nicht machen, ist die Zellfertigung. Das haben wir uns sehr genau angesehen und vor drei Monaten entschieden, dass Vitesco Technologies nicht in die Fertigung solcher Zellen einsteigen wird. Ursprünglich hatten wir damit gerechnet, dass sich die Festkörperzellfertigung schneller durchsetzt und dass wir aufgrund eines Technologiesprungs damit quasi in den Markt einsteigen. Doch mittlerweile hat sich gezeigt, dass die Lithium-Ionen-Batterie wohl noch in den nächsten zehn Jahren die Hauptenergiequelle sein wird. Und auf diesem Gebiet gibt es Unternehmen, die sich damit seit vielen Jahrzehnten beschäftigen und die wir nicht rechts auf dem Standstreifen überholen können.
Da können Sie auch die jüngsten Ankündigungen mit den Fördermitteln nicht umstimmen?
Nein, die Milliardenförderung stand schon länger im Raum. Bei Investitionen in die Fertigung von Batteriezellen reicht eine Milliarde nicht mal für eine Firma aus. Da müssen mehrere Milliarden in die Hand genommen werden. Nachdem Continental unter anderem mit dem vernetzten und autonomen Fahren oder wir als Vitesco Technologies mit der Elektrifizierung so viele Wachstumsfelder haben, gab es für uns keinen Grund dort auch einzusteigen.
Welche Erwartungen haben Sie an die Politik?
Grundsätzlich unterstützen wir die Pläne zur CO2-Reduzierung. Was uns Schwierigkeiten bereitet, ist der schnelle Wechsel der Grenzwerte. Für die Automobil- und Zulieferindustrie gibt es dadurch keine Planungssicherheit mehr. Rahmenbedingungen sind aber wichtig für Ingenieure, deren Produkte Jahre an Entwicklungszeit erfordern. Wenn der Wechsel nun schneller, disruptiver und radikaler kommt, dann muss die Politik noch stärker mit Förderungen arbeiten.
Vitesco Technologies steht heute für rund acht Milliarden Euro Umsatz. Welche Entwicklung erwarten Sie mittel- und langfristig?
Wir werden normale Wachstumsraten haben und ein zweistelliger Milliardenbetrag liegt beim Umsatz in Reichweite. Wie wir uns dann auf der Umsatzseite weiterentwickeln werden ist eher eine Frage der Konsolidierung. Für die kommenden Jahre gehen wir bei der weltweiten Fahrzeugproduktion momentan eher von einer Seitwärtsbewegung aus. Aber zu diesem Volumen kommt zusätzlich noch die Elektrifizierung – jeder Verbrenner muss zumindest zum Mild-Hybriden werden.
Können Sie das näher erläutern?
Je stärker die Fahrzeuge elektrifiziert sind, desto höher wird der Wert pro Fahrzeug, den wir liefern können. Zwischen einem rein verbrennungsmotorischen Fahrzeug und einem batterieelektrischen Auto sprechen wir von einem Faktor vier. Bei Vitesco Technologies haben wir alles an Bord, um erfolgreich in die elektrische Zukunft zu gehen.
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