Stuttgart. Die Arbeit am neuen Selbstverständnis begann mit reichlich Symbolik: 120 stark verunsicherte Topmanager sollten gemeinsam mit ihrem Chef Dieter Zetsche aus kleinen Messingfragmenten ein Bildnis bauen, das Tradition, Stärke und Zukunft des Unternehmens verkörpert. Es war das erste Treffen der Daimler-Führungskräfte nach der Trennung von Chrysler, und jeder fragte sich, welchen Kurs Zetsche nun einschlagen würde.
Gemeinsam schmiedeten die Manager eine drei Meter hohe, glänzende Scheibe und gaben ihr den Namen "Genesis", die Schöpfung. "Wir stehen am Beginn eines langen Weges", schwor Zetsche die Führungskräfte ein.
Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die aus Daimler-Benz erst einen integrierten Technologiekonzern (Edzard Reuter), dann eine Welt-AG (Jürgen Schrempp) formen wollten, verzichtet Zetsche jedoch auf eine revolutionäre Zukunftsstrategie. Nach den teuren Irrwegen der letzten Dekaden würden ihm ohnehin weder die eigenen Mitarbeiter noch der Kapitalmarkt folgen.
Doch das Unternehmen mit weltweit mehr als 272.300 Mitarbeitern kann auch nicht so bleiben, wie es ist. Zetsches Ambitionen sind nicht geringer als die seiner Vorgänger: Um den Aktienkurs hoch zu halten und gegen Übernahmen gewappnet zu sein, hat er die Rendite-Ziele für jede einzelne Sparte so hoch gehängt, dass sie im bestehenden Fahrzeug- und Finanzierungsgeschäft praktisch nicht zu erfüllen sind. Denn die vorhandenen, teils gigantischen Einsparpotenziale drohen aufgefressen zu werden: vom schwachen Dollarkurs, den steigenden Rohstoff- und Energiepreisen, vom Wettbewerbsdruck durch Überkapazitäten und nicht zuletzt von hohen Investitionen in klimafreundlichere Antriebe.
Auch die Expansion in Schwellenländer, wo Daimler noch schwach ist, kann das allein nicht kompensieren - selbst wenn das Unternehmen wie geplant schneller wächst als der Markt.
Deshalb will Zetsche das Unternehmen von innen heraus, in einem evolutionären Prozess, dazu bringen, das eigene Potenzial stärker außuschöpfen. Keimzelle ist eine Gruppe von hochrangigen Managern, die unter der Bezeichnung "Business Innovation" die gesamten Aktivitäten durchleuchten, neue Geschäftsmodelle entwickeln und diese ausprobieren sollen. Dabei fasst Daimler vor allem den Downstream-Bereich ins Auge, also das Geschäft nach dem Verkauf von Neufahrzeugen. "Dieser Bereich ist wenig kapitalintensiv, sehr profitabel und birgt große Wachstumschancen", so Unternehmensberater Andreas Baier von Accenture.
In einem ersten Schritt dürfte Daimler das Flottenmanagement ausbauen. Als Blaupause dient die bislang nur in Europa tätige Tochter CharterWay, die Nutzfahrzeug-Fuhrparks betreibt. Diese wird wohl bald auch in den USA an den Start gehen, heißt es im Unternehmen. Außerdem denkt man darüber nach, dieses Geschäft auch auf Pkw zu übertragen. Komplementär dazu wird an den Ausbau des Versicherungsgeschäfts mit Privat- und Gewerbekunden gedacht.
Als weiteres Geschäftsfeld wurde der Gebrauchtwagenhandel identifiziert: "Das ist in Europa ein hoch profitabler Markt. Den werden wir nicht den Händlern überlassen", so ein Daimler-Insider. Neben den guten Margen lockt dabei vor allem der Zugang zu neuen und jüngeren Kundengruppen. Neben diesem konservativen Ansatz lassen die Stuttgarter bewusst Raum für ungewöhnliche Ideen. Dabei geht es um die Frage, wie sich die Weltmarke Mercedes-Benz auf andere Mobilitätsthemen jenseits des reinen Autogeschäfts übertragen lässt - auf Neudeutsch das "Leveragen" der Marke. "Eine Möglichkeit wäre, das bereits bestehende Geschäft mit Accessoires außuweiten", so Baier, "und beispielsweise Reisen anzubieten."