München. War die erste Jahreshälfte 2009 in der Automobilindustrie von Tristesse und Überlebensangst geprägt, gab es in den ersten sechs Monaten des Jahres 2010 zahlreiche Absatz- und Gewinnrekorde. Geradezu euphorisch blickt deshalb Daimler-Chef Dieter Zetsche in die Zukunft: "Das Gesamtjahr 2010 könnte eines der besten Jahre in der Geschichte des Automobils werden“, jubelt der Manager, der im vergangenen Geschäftsjahr mit einem Nettoverlust von mehr als 2,6 Milliarden Euro das schlechteste Ergebnis seit zehn Jahren eingefahren hatte. Der Stuttgarter Autokonzern ist ein besonders prominentes Beispiel, wie die ebenso überraschende wie starke Erholung der Automobilnachfrage vor allem in China, Indien und Südamerika die Halbjahreszahlen der weltweit tätigen Hersteller nach oben getrieben hat.
Dies zeigen die Konzernbilanzen, die alle Unternehmenssparten umfassen (siehe Tabellen). Die Marke Mercedes-Benz hat mit 113.300 Pkw in ihrer Geschichte noch nie mehr Fahrzeuge in einem Einzelmonat verkauft als im Juni 2010. Der japanische Hersteller Honda erreichte in den ersten drei Monaten des Geschäftsjahrs 2010/2011 eine neue Bestmarke beim Gewinn. Und der Profit des koreanischen Herstellers Hyundai übersprang im ersten und zweiten Quartal historische Hürden. Rekordverdächtig ist auch die Geschwindigkeit des Turnarounds: Von den 15 weltweit agierenden Autoherstellern schreiben zur Jahresmitte nur noch Mitsubishi Motors und Chrysler auf Nettoebene rote Zahlen. Newcomer Tesla muss erst beweisen, dass man schon heute mit Elektrofahrzeugen Geld verdienen kann. Der Umschwung hat je nach Unternehmen und Marktsegment unterschiedliche Ursachen. Die deutschen Premium- und Luxusanbieter Audi, BMW und Mercedes sowie Porsche profitierten besonders stark von den Bestellungen der Vermögenden dieser Welt, deren Konsumlust durch die Krise nur kurz beeinträchtigt wurde.
Doch auch bei den Volumenherstellern wird auffällig häufig ein höherer Anteil teurer Fahrzeuge am Verkaufsvolumen als Gewinntreiber genannt. Erheblichen Rückenwind erhielten die europäischen Autobauer zudem durch den schwachen Euro. Ohne drastische Sparmaßnahmen hätten sich die Profite jedoch kaum so schnell erholen können. Auch hier ist der Daimler-Konzern ein gutes Beispiel: Um die Liquidität zu sichern, brachte Zetsche 2009 ein Notsparprogramm in Höhe von fünf Milliarden Euro auf den Weg. Allein die Arbeitnehmer mussten über Kurzarbeit, Gehaltsverzicht und andere Maßnahmen auf 1,85 Milliarden Euro verzichten. Nun will Zetsche die Kosten dauerhaft um fünf Milliarden Euro drücken und so hohe Renditen im Konzern sichern. "Die Hersteller haben sehr systematisch ihre Hausaufgaben gemacht“, sagt Automobilexperte August Joas von der Münchner Managementberatung Oliver Wyman mit Blick auf die Premiumanbieter.
Ähnlich agieren praktisch alle Hersteller weltweit: Sie rationalisieren, verschlanken und senken massiv die Kosten. Die neue Politik des Sparens hat ihren Grund. Vor allem die Volumenhersteller misstrauen dem unerwarteten globalen Aufschwung. Die dynamische Entwicklung werde sich in der zweiten Jahreshälfte nicht fortsetzen, warnt zum Beispiel VW-Chef Martin Winterkorn. Katerstimmung herrscht vor allem in Westeuropa. Im Jahr nach der Abwrackprämie rechnet das Prognose- und Beratungsunternehmen J.D. Power mit einem Rückgang der Neuzulassungen um fast sieben Prozent auf 12,7 Millionen Pkw, was die stark vom Heimatmarkt abhängigen französischen Hersteller und auch Fiat, vor allem aber Opel trifft. Das Europa- Geschäft des Opel-Mutterkonzerns General Motors hat im zweiten Quartal einen Verlust von 160 Millionen Euro eingefahren. Mit Sorge blickt die Autoindustrie auf den einst größten Einzelmarkt USA. Dort mehren sich die Anzeichen für eine erneute Eintrübung des Wirtschaftsklimas.
Deshalb will die US-Notenbank an der Politik des billigen Geldes für längere Zeit festhalten. "Die Entscheidung der FED zeigt, dass die Sorgen über die amerikanische Konjunktur doch größer sind, als die Notenbank hat bisher erahnen lassen“, sagt Carsten Klude, Chefvolkswirt der Hamburger Investmentbank M.M. Warburg. Auch die Wachstumslokomotive China dürfte nach Einschätzungen von Volkswirten das hohe Tempo nicht auf Dauer halten können – vor allem die Autobranche wird dort derzeit großzügig subventioniert. Dennoch dürfte die Konjunkturampel in der Branche noch bis ins Jahr 2011 hinein auf Grün stehen.
Mit einem Anstieg um fast 20 Prozent auf gut 68,7 Millionen Fahrzeuge in diesem Jahr wird das Vorkrisenniveau von 66 Millionen Pkw aus 2008 sogar übertroffen werden, prognostizieren die Autoexperten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Pricewaterhouse- Coopers (PwC). "Die Dynamik insgesamt ist erfreulich, stellt die Branche aber weiter vor Herausforderungen“, warnt VDA-Präsident Matthias Wissmann. So befänden sich einzelne EU-Länder in einer angespannten Haushaltssituation, auch sei die Entwicklung der Energie- und Rohstoffpreise entscheidend für den Verlauf des Aufschwungs. Für Daimler-Chef Zetsche ist das alles kein Grund, den Optimismus zu bremsen: "Die beste Zeit des Autos kommt noch – nicht trotz, sondern wegen des Umbruchs in der Branche.“