Was man von Beratung erwarten darf

Die Automobilbranche wandelt sich von Grund auf, der Consulting-Bedarf ist immens. Doch wie berechtigt ist die Annahme, dass die zündenden Ideen von außen kommen?

Montag, 15. Juli 2019, 19.28 Uhr

Es gibt vermutlich nur eine Aussage, auf die sich in diesen für die Automobilindustrie turbulenten Zeiten alle Akteure

sofort einigen können: Nichts zu tun wird nicht funktionieren.

Mit dieser Erkenntnis aber fangen die Schwierigkeiten an. Denn die zentrale Frage dahinter lautet: Was genau ist zu tun, damit das Geschäft auch in Zukunft funktioniert? Die richtige Antwort zu finden, ist in vielen Fällen eine Herkulesaufgabe.

Beratung ist daher gefragt. Die Unternehmen brauchen Unterstützung, neue Impulse, frische Ideen. Dass man in Zukunft elektrisch fährt, autonom und vernetzt, gilt inzwischen als ausgemacht. Aber was bedeutet das wirklich? Norbert Dressler, Automotive-Partner bei Roland Berger: „Elektromobilität ist heute in aller Munde. Doch dahinter steckt eine komplett neue Geschäftswelt. Denn es geht hier um neue Produkte, neue Werke, neue Komponenten wie Batterien und Elektromotoren und eine gänzlich neue Infrastruktur.“

Elektromobilität ist nur eines der Schlagworte, das die Branche derzeit umtreibt. Die anderen sind Digitalisierung, autonomes Fahren und Mobilitätsangebote. Und immer steckt ein ganzes Bündel an Veränderungen dahinter – und vor allem auch massiver Investitionsbedarf. Für die Industrie bedeutet dies, um einen weiteren, arg strapazierten Begriff zu benutzen, den größten Transformationsprozess seit Langem, vielleicht sogar seit Erfindung des Automobils. Automotive-Experte Dressler beschreibt die Situation mit einer maritimen Metapher: „Die Automotive-Unternehmen sind wie große Tanker, die einen neuen Kurs einschlagen müssen –und wir, die Berater, sind die Schlepper, die dabei helfen, sich in die richtige Richtung zu bewegen, den richtigen Weg zu ihrer Geschäftsstrategie zu finden.“

Die neue Ausrichtung, eine veränderte Strategie, weitere Geschäftsfelder – das ist der eine Teil der Aufgaben, für die sich Unternehmen Hilfe holen. „Aber es geht längst nicht mehr nur um Konzepte, sondern immer öfter auch um deren konkrete Umsetzung“, sagt Jan Burgard von Berylls Strategy Advisors. „Wenn beispielsweise Lösungen für das Laden von Elektroautos benötigt werden, kümmern wir uns, wenn der Kunde es wünscht, End-to-End um alle Prozessschritte. Wir können ein Partnernetzwerk zusammenstellen, das den Anschluss einer geeigneten Wallbox ermöglicht und die Programmierung einer App, die den Ladevorgang steuert, gewährleistet – und das ganze weltweit."

‚Haltet uns den Spiegel vor‘

Warum aber holen sich die hoch spezialisierten Firmen der Fahrzeugindustrie solcherlei Expertise überhaupt von außen? Warum fragen sie nicht die Spezialisten in den eigenen Fachabteilungen? Die Antwort: Weil Fachkompetenz allein noch nicht zu einer zukunftsweisenden Lösung führt. Im Gegenteil: Wer sehr tief in einem Thema steckt, läuft Gefahr, die Zusammenhänge aus dem Auge zu verlieren. Burgard: „Wir hören sehr oft von Kunden: ‚Haltet uns den Spiegel vor‘ oder ‚Wir brauchen einen Sparringspartner.‘“

Auch Roland-Berger-Berater Dressler betont die Bedeutung des Blicks von außen. Denn nur die externe Perspektive verschaffe einem den nötigen Überblick – sowohl innerhalb des Unternehmens als auch auf einem immer stärker globalisierten Markt. „Nicht selten geht es auch darum, den Kunden aus einer Komfortzone herauszuholen und ihn mit Wegen zu konfrontieren, die bis dahin kaum denkbar waren“, sagt Dressler.

Mitunter werden Berater auch als eine Art personelle Zusatzkapazität eingesetzt. Gerade bei Problemstellungen, die in einem Unternehmen lange vernachlässigt worden sind. Dann kann ein kompetentes, externes Team als Treiber fungieren, um ein Projekt gezielt umzusetzen und auch, um die betroffenen Mitarbeiter zu motivieren.

"Menschliche Belange werden nicht ausreichend berücksichtigt"

Wenn man sich mit Beratern unterhält, wird rasch deutlich, dass die menschliche Komponenten ihrer Arbeit die eigentlich entscheidende ist. „Die meisten Probleme sind nicht fachlicher Natur“, sagt Matthias Loebich, Vizepräsident des Bundesverbands Deutscher Unternehmensberater (BDU) und Geschäftsführungsmitglied bei BearingPoint. „Wenn man als Berater unvoreingenommen an die Aufgabe herangeht und die richtigen Fragen stellt, erkennt man sehr oft, dass bei vielen Dingen, die nicht so laufen wie gewünscht, menschliche Belange nicht ausreichend berücksichtigt wurden.“

Deshalb sei es wichtig, den Blick von außen mit der innerbetrieblichen Perspektive zu kombinieren. Es gehe darum, die richtigen Leute zusammenzubringen und, besonders wenn bereichsübergreifende Kooperation nötig ist, auf Kapazitäten, Prioritäten und Hierarchien der beteiligten Abteilungen Rücksicht zu nehmen. „Wenn dies einem Berater als neutraler Instanz mit offenem Blick gelingt, besteht darin ein großer Mehrwert für das Unternehmen“, sagt Loebich. Das sieht Dressler ebenso: „Der Berater allein kann nichts bewirken. Es geht vor allem darum, die Menschen im Unternehmen mitzunehmen und sie von den neuen Entwicklungen zu überzeugen.“

Das Ganze verlangt ebenso nach Fachkompetenz. „Früher reichte es,ein Konzept abzugeben. Heute muss man gemeinsam mit den Kunden um die beste Lösung ringen und diese zusammen umsetzen“, sagt Burgard. Berylls habe sich daher ein Netzwerk aus rund 30 Kooperationspartnern aufgebaut, darunter mehrere Fraunhofer-Institute.

Auch bei Roland Berger wird auf externe Expertise gesetzt. Die Firma arbeitet mit Hochschulen, Forschungszentren und Unternehmen zusammen, akkumuliert Wissen in einem „Excellence Center“ und achtet bei der Zusammenstellung der Beraterteams auf breite Streuung der Kompetenzen.

Doch so gut und sinnvoll eine Beratung auch sein mag – der wichtigste Faktor, damit sie zum gewünschten Ergebnis führt, ist die Haltung des Kunden. BDU-Mann Loebich sagt: „Der Wille, Beratung auch anzunehmen, ist die Grundvoraussetzung für ihr Gelingen.“ Es braucht also etwas mehr als nur die Erkenntnis, dass man dringend etwas tun müsse. Loebich: „Wenn Beratungsleistungen zum Erfolg führen sollen, sind Analyse und Konzept nicht genug. Entscheidend ist auch deren konsequente Umsetzung.“

Dieser Artikel stammt aus dem Automobilwoche Spezial "Automotive Consulting 2019"

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