Tesla, eine Macht

Visionär, Disruptor, Revoluzzer – kein Autobauer wird so sehr mit umstürzlerischen Begriffen gleichgesetzt wie Tesla. Der US-Elektroautopionier hat die Branche auf den Kopf gestellt. Nach mehr als 100 Jahren des allmächtigen Verbrennungsmotors kam Tesla daher und verhalf dem Elektroantrieb zum Durchbruch. Das war in der Tat eine Revolution. Und sie ist noch immer in vollem Gange.

Nach vielen Höhen und Tiefen in den Anfangsjahren ist Tesla heute – im Alter von 20 Jahren – eine Macht. Weltmarktführer in der Elektromobilität, Vorreiter in der Batterietechnik, wichtiger Protagonist beim autonomen Fahren. Tesla will überall Erster sein. Angetrieben wird das Unternehmen von Vorstandschef und Haupteigner Elon Musk.

Tesla verkaufte im vergangenen Jahr 1,31 Millionen Fahrzeuge. Im ersten Quartal 2023 überholte das Unternehmen erstmals die deutsche Premiummarke Audi beim Absatz. Wenn das Wachstum so weitergeht, überflügelt Tesla 2024 auch Mercedes-Benz und BMW. Musk erwartet jedes Jahr zwischen 40 und 50 Prozent Absatzzuwachs. Er will eine Erfolgsstory ohne Ende.

Im Herbst 2022 gab es dennoch eine große Delle. Der erratische Tesla-Chef verhedderte sich im total überteuerten Twitter-Kauf und polterte auf der Nachrichtenplattform gegen die "woke" Gesellschaft. Investoren begannen sich Sorgen zu machen, der Börsenwert stürzte um mehrere Hundert Milliarden Dollar ab.

Selbst ein Musk sah ein, dass er etwas tun musste. Er holte mit dem Tesla-Topmanager Tom Zhu einen Vizechef ins engste Führungsteam, was für etwas mehr Ruhe sorgte. Den Absatz kurbelte der Autobauer mit Preissenkungen an. Das allerdings drückte enorm auf die Marge, was die Anleger sofort abstraften. Musk betreibt gerade – und das scheint eine Lieblingsbeschäftigung von ihm zu sein – Krisenmanagement.

Natürlich passiert dies alles auf hohem Niveau. Mit einer Marktkapitalisierung von 500 Milliarden Euro ist Tesla noch immer der mit Abstand wertvollste Autohersteller der Welt. Am Finanzmarkt wird Tesla nicht als bloßer Autobauer gesehen, sondern als Tech-Company.

Das Unternehmen erreicht sein jährliches Absatzplus mit nur vier Modellen. Und von diesen vier verkaufen sich im Grunde nur zwei: Model Y und Model 3.

Die teureren Model S und Model X sind kaum an den Kunden zu bringen.

Musk weiß, dass die Produktpalette bald wachsen muss, wenn die Erfolgsgeschichte weitergehen soll. So sind der Pick-up Cybertruck, der Elektro-Truck Semi und womöglich ein kleineres Modell geplant. "Mit der Zeit
sollten wir alle Bereiche abdecken. Wahrscheinlich wäre es sinnvoll, einen Kompaktwagen zu entwickeln sowie einen Van oder Minivan", sagte Musk im September 2020 in einem – sehr seltenen – Interview in der Automobilwoche. Die Modellpläne sind inzwischen weiter vorangeschritten, allerdings fehlen konkrete Aussagen vor allem zum Kompaktmodell.

Die Gründe für den Erfolg des Unternehmens, das am 1. Juli 20. Geburtstag hat, sind bekannt und breit besprochen.

Musk brach von Anfang an mit den Konventionen der Branche. E-Antrieb, zentrale Steuerarchitektur, smarte Produktion, eigene Ladesäulen, Direktvertrieb, digitale Features und autonomes Fahren – alles war neu erdacht, ohne Altlasten, ohne andere zu kopieren.

Irgendwann dämmerte es der Konkurrenz, dass man Tesla lieber ernst nehmen sollte.

Und natürlich ist Musk selbst ein Erfolgsfaktor. Seine Fans vergöttern den Unternehmer, Selfmade-Milliardär, Nerd und reichsten Menschen auf diesem Planeten.

Die Zahl seiner Feinde ist allerdings nicht weniger klein. Erfolg schürt Neid und Missgunst. Seine Eskapaden und verbalen Ausfälle, die sich der am Asperger-Syndrom Leidende leistet, tun ihr Übriges. Egal was Musk macht – er polarisiert.

Die Begehrlichkeit Teslas am Finanzmarkt entfacht Musk mit der Vision des autonomen Fahrens. Während Elektromobilität schon zur Normalität wird und kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist, bringt das selbstfahrende Auto die nächste Revolution der Industrie. Teslas sogenannter Autopilot ist gegenüber Wettbewerbern fortgeschritten, aber nicht das Maß aller Dinge. Die großen Versprechungen müssen erst noch eingelöst werden. "Wir könnten unsere Autos jetzt ohne Gewinn verkaufen und später über AutonomieUpdates unfassbare Gewinne erzielen", sagte Musk bei der Vorlage der Quartalszahlen im April 2023.

Musk sieht das große Geschäftsmodell der Zukunft darin, dass Fahrzeuge zu rollenden Smartphones werden.

Das bedarf jedoch hoher Investitionen. Zwischen sechs und sieben Milliarden Dollar pumpt Musk jedes Jahr in die Maschinerie Tesla. Das Geld geht in die Technologie und neue Werke. Doch um in großem Stil in den Massenmarkt einzusteigen, wie es Tesla plant, müsste das Unternehmen die Investitionen noch deutlich erhöhen. Das räumte Finanzchef Zachary Kirkhorn im März unumwunden ein.

In jedem Fall müssen die Kapazitäten bei dem geplanten Wachstumstempo weiter enorm gesteigert werden. Das nächste Produktionswerk entsteht in Mexiko nahe der Stadt Monterrey. Für die Gigafactory Grünheide in Brandenburg wurden jüngst Pläne zur Erweiterung eingereicht.

"Die Nachfrage nach unseren Autos könnte unendlich sein", sagte Musk im März auf dem "Investor’s Day" am Hauptsitz Austin/Texas. Er glaubt daran, im Jahr 2030 rund 20 Millionen Autos verkaufen zu können. Das wären so viele wie heute die beiden Weltmarktführer Volkswagen und Toyota zusammen.

Die Marktanteile will er sich jetzt erkämpfen, Gewinne könnten warten. Musk: "Dies ist ein guter Zeitpunkt, um unseren Vorsprung weiter auszubauen, und wir werden weiterhin so schnell wie möglich in unser Wachstum investieren." Damit rechtfertigt der Tesla­Chef auch die immensen Preissenkungen der Modelle, die zwar Neukunden erfreuen, aber nicht die Investoren und Aktionäre.

Auf dem Weg zum Massenhersteller – diese Zuversicht gibt ihm vielleicht der geplante Kompaktwagen ("Baby­Tesla"), der unter 25.000 Dollar kosten soll und in riesigen Stückzahlen gebaut werden könnte.

Im Markt fehlen noch immer bezahlbare Elektroautos. Dass das Auto Model B heißen wird, ist aber wohl ein Märchen; es klingt aber auch zu schön: Die Modelle B, S, 3, X und Y – ausgesprochen "Be sexy". Es wäre zumindest typischer Musk-­Humor.

Tesla und Musk – die Firma und ihr Chef sind untrennbar miteinander verbunden. Seit 15 Jahren sitzt er auf der Position des Vorstandsvorsitzenden und ist gleichzeitig größter Eigner. Zeitweise war er auch in Personalunion
Aufsichtsratschef. Doch die Stimmen mehren sich, die den Zeitpunkt für eine breitere Führung gekommen sehen. Investoren forderten in einem offenen Brief an den Vorstand, dass Tesla einen CEO verdiene, der sich dieser Position mit absoluter Priorität widme.

Denn Musk tanzt auf vielen Hochzeiten, vor allem Twitter und sein Raketenunternehmen SpaceX bekamen zuletzt viel Aufmerksamkeit. Mit der Ernennung von Linda Yaccarino zur Twitter­-Chefin ist er hier einen Schritt weitergekommen. Und mit Zhu, der zuletzt das China­-Werk in Schanghai leitete, hat er auch einen Tesla­-Kronprinzen auserkoren. Zhu arbeitet jetzt am Hauptsitz Austin an Musks Seite. Jedoch hatte es immer wieder einmal Kronprinzen und Nebenstars gegeben (Jeffrey Straubel, Andrew Baglino), die Musk dann hat fallen lassen. Statt sich mehr Hilfe zu holen, schrumpfte der Vorstand immer mehr.

Tesla muss in den kommenden Jahren die wachsende Konkurrenz auf Abstand halten. Die kommt geballt. Das Elektroauto setzt sich in vielen Teilen der Welt durch, daher kommen Hunderte neue Modelle zahlreicher alter und neuer Autobauer auf den Markt. Und die sind auch nicht schlecht.

Eine weitere Voraussetzung ist demnach, dass Tesla auch weiter Technologieführer sein muss, um gegen die neuen Player erfolgreich anzukämpfen. Tesla muss besser sein, exklusiver sein. Doch auch andere Unternehmen sehen sich schon bald als Technologieführer. Der chinesische Konzern BYD ist es wohl schon, Volkswagen wäre es gern. Tesla ist oben nicht mehr allein.

Musk jedoch, dem Mangel an Selbstbewusstsein seit jeher unbekannt ist, ist sich sicher: "Es gibt keinen Autobauer auf der Welt, der so gut aufgestellt ist wie meiner."

Aus dem Datencenter:

Tesla-Geschichte 2003 bis 2022

Dieser Artikel stammt aus der Sonderbeilage „20 Jahre Tesla“. Hier erfahren Sie mehr