Betriebssysteme der Hersteller sichern Know-how und eine langfristige Verfügbarkeit. Zudem verbesserten sie die Datenkontrolle, sagt Jürgen Becker, Professor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Herr Becker, warum entwickeln die Hersteller plötzlich ihre eigenen Betriebssysteme?
Bisher war die Kompetenz zur Software-Entwicklung für Steuergeräte meist ausgelagert. Hier beobachten wir ein Umdenken bei den Herstellern. Eigenentwicklungen bieten maximale Flexibilität und Wartbarkeit der Funktionen. Kritisches und wichtiges Know-how bleibt im eigenen Haus und wandert nicht ab. Dies bietet den Vorteil einer langfristigen Verfügbarkeit der Lösungen und somit Planbarkeit. Vor allem für die funktionale Sicherheit von Fahrzeugen, also etwa bei Fahrassistenzsystemen, ist es wichtig, über die Software die neuen Hardware-Herausforderungen inklusive etwaiger Fehler im Griff zu haben.
Was kostet das die Hersteller?
Allein der Volkswagen-Konzern plant bis 2025 Investitionen in Höhe von sieben Milliarden Euro für seine Software-Einheit. Das heißt, wir reden hier grundsätzlich über sehr hohe Summen. Der mögliche Entwicklungsumfang variiert aber stark je nach Nutzung bestehender Komponenten und dem angestrebten Funktionsumfang.
Ist es wirklich sinnvoll, dass jeder hier sein eigenes Süppchen kocht?
Nein, man könnte schon überlegen, ein fahrzeugübergreifendes Betriebssystem zu entwickeln. Hier wäre eine Initiative von deutschen Herstellern, Zulieferern und Halbleiter-Unternehmen sehr sinnvoll, um die große Komplexität gemeinsam und global wettbewerbsfähig in den Griff zu bekommen. Dazu zählen auch notwendige standardisierfähige Schnittstellen.
Was bringt das dem Nutzer eines Fahrzeugs?
Zum einen geht es um die Daten, die im Zweifel nicht mit Google oder anderen Drittanbietern geteilt werden müssen. Außerdem erhöht sich die funktionale Sicherheit durch eine bessere Fahrzeugintegration. Dazu kommen neue Funktionen wie kontinuierliche Software-Updates. Beim Infotainment wünschen sich Nutzer eine homogene Handhabung und Anmutung der Oberfläche. Insgesamt verbessert sich die Qualität des Gesamtsystems mit voller Kontrolle und Integration aller relevanten Steuerkomponenten.
Wird die Datensicherheit dadurch verbessert?
Zumindest erhalte ich die volle Kontrolle über die im entwickelten Systemteil erhobenen und weitergeleiteten Daten. Es ist durchaus möglich, dass geeignete Zulieferer mit den gewünschten Datenschutzanforderungen nur schwer zu finden und langfristig verfügbar sind. Was die Gefahr von Angriffen durch Hacker angeht, sind bei solch komplexen Systemen natürlich regelmäßige Updates notwendig, die in eigener Regie deutlich effizienter umsetzbar sind.
Besitzen die Hersteller überhaupt die erforderliche Software-Kompetenz?
Grundsätzlich ist dies machbar. Dennoch sind die erforderlichen Köpfe nur schwer auf dem Markt zu finden. Es geht am Ende vermutlich nur über Allianzen und Kooperationen, insbesondere zwischen der Auto- und Halbleiterindustrie sowie Universitäten und Forschungsinstituten. Das machen schon die verwendeten Technologien wie Mehrkernprozessoren notwendig, aber auch die Integration von 5G und KI in der Automobiltechnik.
Das Interview führte Michael Gerster.
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