München. Wutbürger, das Wort des Jahres 2010, könnte bald Konkurrenz bekommen. Neuerdings taucht in der Automobilindustrie der Wutchef oder Wutmanager auf. Beispiel Dieter Zetsche: In einem viel beachteten Interview in der "Bild am Sonntag“ stellt der Daimler- Chef der Bundesregierung ein schlechtes Zeugnis aus. Selbst zu eher unpopulären Themen wie dem möglichen EU-Beitritt der Türkei sagte der in Istanbul geborene Manager seine Meinung: Er ist dafür. Überraschend auch seine Äußerungen zu Steuersenkungen: Zetsche, der im vergangenen Jahr sicherlich vier Millionen Euro an Einkommenssteuer gezahlt hat, ist dagegen. Die Konsolidierung des Haushalts habe Vorrang. Ford-Europa-Chef Stephen Odell bricht ebenfalls das politische Schweigen: Der Brite nimmt sich die EU-Kommission zum Ziel, wo er eine immer industriefeindlichere Politik sieht. Beispiele: das Freihandelsabkommen mit Südkorea, das der dortigen Automobilindustrie den Export von Autos nach Europa unnötig leicht mache, und das Weißbuch Verkehrspolitik der EU, das allen Ernstes die Abschaffung des Autos fordert.
Früher waren derart hochpolitische Äußerungen von Topmanagern undenkbar. So gab es in Deutschland zu Zeiten des "Autokanzlers“ Gerhard Schröder und auch danach die unausgesprochene Übereinkunft in der Autoindustrie, politische Kommentare entweder dem VDA zu überlassen oder sich ihrer ganz zu enthalten. Legendär ist die Standardantwort von VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch zu politischen Fragen von Journalisten: "Ich bin Österreicher. Da mische ich mich nicht ein.“ Doch nun wird sich eingemischt, und das ist gut so. Denn das Schweigen der Manager hat den Eindruck verstärkt, Diskussionen zwischen Industrie und Regierung fänden in Hinterzimmern unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei ist die Wahrheit viel profaner: Sie finden gar nicht statt.
VDA-Präsident Matthias Wissmann mag zwar die Handynummer der Kanzlerin haben, doch die geht offenbar nicht dran. Seit Helmut Kohl gab es jedenfalls keine Bundesregierung, die sich weniger für Industriepolitik interessiert hätte. Der chaotische Atomausstieg, die unmotivierte Elektroauto- Förderung und die Untätigkeit gegenüber Brüssel sind einschlägige Beispiele. Diese Art von Ignoranz provoziert Wut: bei Bürgern und Unternehmenschefs.