Berlin. Nicht weniger als eine Zeitenwende in der Geschichte des Automobils soll es sein. Mehr Sicherheit, mehr Komfort, weniger Staus, weniger Kraftstoffverbrauch, mehr Klimaschutz - und Autos, die von selbst fahren. Das alles verspricht sich die Branche von der «digitalen Revolution». Kern ist das vernetzte Auto. Die Car-IT ist einer der großen Schwerpunkte bei der 65. Ausgabe der Internationalen Automobil-Ausstellung IAA Mitte September (12.-22.9.) in Frankfurt.
Dabei rückt auch der Traum vom vollautomatischen Fahren näher: Das Auto steuert - der Fahrer liest, sichtet E-Mails oder schläft. «In 10 bis 15 Jahren wird das auf vielen Strecken Realität sein», verspricht der Präsident des Branchenverbandes VDA, Matthias Wissmann. «Dass man wahrscheinlich in 10 bis 15 Jahren auf bestimmten deutschen Autobahnabschnitten in ein "elektronisches Band eincheckt" und dann die nächsten 300 Kilometer im "elektronischen Band" fährt und während dessen seine Büroarbeiten macht, Texte schreibt, telefoniert und schläft. Und wenn man dann aus dem elektronischen Band wieder heraus möchte, geht das einfach per Klick. Das ist die Vision von Car-IT. Auf dem Weg dorthin wird man in Frankfurt auf der IAA schon viel sehen.»Das «elektronische Band» ist dabei ein IT-System, in dem die Autos vollständig miteinander vernetzt sind, über elektronische Sensoren im Auto sowie an den Leitplanken und Begrenzungspfosten an der Autobahn. Die Autos fahren selbstständig hintereinander, wie an einer Perlenreihe aufgereiht, immer mit dem richtigen Abstand zueinander.Smartphone und Auto müssten als integrale Einheit gesehen werden. Der Spaß am Fahren dürfe aber nicht verloren gehen. «Wenn ich im Jahr 2030 auf der vielbefahrenen Strecke von Stuttgart nach Ulm unterwegs bin, füge ich mich ins elektronische Band ein, und wenn ich ins Allgäu komme und die Strecke frei ist, fahre ich wieder selber», sagte Wissmann. Autonomes Fahren reduziere dabei Stress und auch Staus. «Der Verkehr wird ökonomischer und ökologischer werden.»Vorbild für die Autoindustrie könne der iPhone-Konzern Apple sein. «Ich glaube, dass die Smartphone-Generation das Thema Auto angeht mit der Vorstellung Mobilität mit digitalen Mitteln. Da kann man von bestimmten Entwicklungen in ganz anderen Industrien lernen. Das ist das Apple-Beispiel», sagte Wissmann.«Das wäre eine Revolution beim Auto, wie die Einführung des Fließbandes bei Ford und damit die Massenfertigung von Autos», sagt Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Das vernetzte Auto erhöhe zum Beispiel die Sicherheit im Straßenverkehr, heißt es in einem VDA-Papier: «Wenn wir schon vorher wissen, dass zum Beispiel ein Fußgänger die Straße passiert oder ein Motorrad um die Ecke schnellt, können Unfälle vermieden werden. Unser Fahrzeug bremst, noch ehe wir reagieren.»Hier geht es zu unserer IAA-Bildergalerie.Fortschritt
Die digitale Revolution auf vier Rädern naht
In der Geschichte des Automobils steht die nächste Revolution vor der Tür, die digitale. Diese Umwälzung könnte nicht nur das Autofahren verändern, sondern die ganze Branche neu ordnen.
Wie im Science-Fiction-Film
Allerdings ist das «elektronische Band» nicht die einzige Vision für das automatisierte Fahren. So setzt Google, dessen Roboter-Wagen bereits mehr als eine halbe Million Kilometer auf US-Straßen zurückgelegt haben, eher auf Sensoren am Auto selbst, mit denen es die Umwelt erfassen kann. Schließlich dürfte es lange dauern, bis viele Fahrzeuge miteinander kommunizieren können und die Straßen entsprechend ausgestattet sind, gibt der Wissenschaftler Sebastian Thrun zu bedenken, der das Projekt bei Google in Gang gebracht hat.
Aber nicht nur die Welt der Autofahrer steht vor einer Revolution, sondern auch die der Autobauer und Zulieferer. «Themen wie Datensicherheit, Datenvolumen und Transport in Netzen machen einen wichtigen Teil für autonomes Fahren aus. Und genau darin haben die Autobauer und Zulieferer heute wenig Know-How», sagt Dudenhöffer.An dieser Stelle kommen Software-Hersteller und IT-Unternehmen ins Spiel. Die Autobauer würden sicher die «Gesamtarchitektur» definieren, glaubt Dudenhöffer. Die einzelnen Komponenten aber kommen von Zulieferern und IT-Spezialisten - wie Google oder Apple.Für die Hersteller mache es wenig Sinn, sich in Eigenregie um Wetter- oder Navigationsdaten oder das Musik-Streaming zu kümmern, betont die Managementberatung Oliver Wyman. Sinnvoller seien Allianzen - wie etwa im Fall Continental. Conti gab jüngst eine Zusammenarbeit mit dem Netzausrüster Cisco bekannt. «Bei Continental glauben wir, dass das Internet nicht nur ins Auto kommt, sondern dass das Auto Teil des Internets wird», sagt der Chef Elmar Degenhart.Die Geschäftsaussichten für Car-IT sind glänzend. Nach einer Prognose von Oliver Wyman sind 2016 weltweit bereits rund 50 Prozent Neuwagen mit vernetzten Diensten unterwegs. Sicherheit und Fernwartung, Flottenmanagement, Mobilität, Navigation, Infotainment, Versicherungen sowie Bezahlsysteme - für die Branche sei die «digitale Revolution» im Wagen ein Milliardenmarkt.Die Dimensionen des Themas gehen aber längst über die Mobilität hinaus. Volkswagen etwa testet Elektroautos als intelligente Zwischenspeicher für die Energie von Morgen. Hier treffen sich zwei Kostentreiber, bei denen es um Milliardenausgaben für die Forschung und Entwicklung bei den Autobauern geht: Vernetztes Fahren und alternative Autoantriebe.Autoexperte Stefan Bratzel gibt zu bedenken, die Hersteller müssten sich auch den viel kürzeren Innovationszyklen der IT-Branche anpassen. Die neuen Player der Branche wie etwa Google könnten die Geschäftsmodelle nachhaltig verändern. Auch deshalb tue die Autoindustrie gut daran, die Vorteile des vernetzten Fahrens den Kunden in kleinen Schritten nahezubringen. «Komfort und Sicherheit sollten die Maximen sein.»Die Vorstellung, bald wie im Science-Fiction-Film per Autopilot dahinzugleiten, hat aber auch ihre Kritiker. «Die Heilsgeschichte, die uns da vorgeführt wird, ist Nonsens, wenn es um eine "Vision" gehen soll», warnt der Greenpeace-Autoexperte Wolfgang Lohbeck. «Es geht eigentlich darum, dass weiter Auto gefahren werden soll.» (dpa/gem)Hier geht es zu unserer IAA-Bildergalerie.