Tokio. Einst galt Japan als wirtschaftliches «Wunderland»: Mit seiner andersartigen Kultur, seinem Wertesystem und seiner politischen Ordnung sei es der fernöstlichen «Wirtschaftsmaschinerie» gelungen, den «Westen zu erobern». Konzernewie Sony oder Sharp lehrten der Welt als «Japan AG» das Fürchten.Doch die Zeiten haben sich geändert. Viele Unternehmendereinst stolzen Elektronikindustrie hinkenheute hinter Rivalen wie dem US-Riesen Apple,Samsung aus Südkorea oder Haier aus China her.
Doch angesichts der Globalisierung, desimmer schärfer werdenden Wettbewerbs aufden Weltmärkten und der rapiden Überalterung der eigenenBevölkerung zeichnetsich in Japans vielfach noch konservativer Unternehmenslandschaft langsam ein Umdenken ab. Der Elektrokonzern Hitachi hat sich gar von einem Eckpfeiler der japanischen Unternehmenskultur getrennt: Dem Senioritätsprinzip, bei dem sich dieEntlohnungnach Alter und Dauer der Betriebszugehörigkeit richtet statt nach Leistung.
Ein weiteres Indiz für einen möglichen Wandel ist die wachsende Bereitschaft, frischen Wind in die Unternehmensführung zu holen. Wurdediese traditionell aus den eigenen Reihen besetzt, blicken nun mehr Firmenüber den Tellerrand hinaus und holen sich Expertise sogaraus dem Ausland.Jüngstes Beispiel ist der Autoriese Toyota.
Erstmals in der fast 80-jährigen Unternehmensgeschichte ernannte der VW-Konkurrent mit dem Franzosen Didier Leroy einen Ausländer zum Vize-Präsidenten. Zwar ist Leroy längst nicht der erste Ausländer in japanischen Führungsetagen. Toyotas RivaleNissan wird von Carlos Ghosn geführt, beiSony stand lange Howard Stringer an der Spitze. Doch solche Fälle sindbisher die Ausnahme. Das soll sich ändern.
«Japans Unternehmenslandschaft öffnet sich. Sie wird offener und internationaler», stellt Peter Babucke fest. Der deutsche Finanzexperte ist selbst ein gutes Beispiel. Seit 2013 ist er Vize-Präsident im Listing Department an der Tokioter Börse (TSE).Diese Rolle ermöglichtihm als einem der wenigen Ausländer einen intimenEinblick in die inneren Prozesse der japanischen Finanzwelt. Die Regierung von Ministerpräsident Shinzo Abe will dieseEntwicklung nun als Teil ihrer«Abenomics»genannten Wirtschaftspolitikmit Reformen untermauern.
So hat die Regierung erstmalsRichtlinien zur Unternehmensführung erlassen. Sie sollen füreinegrößereTransparenz und eine Öffnung der verkrusteten Unternehmenskultur sorgen. So sind die Unternehmen angehalten, mindestens einen unabhängigen Direktor in den Aufsichtsrat zu holen - die meisten haben bislang keinen einzigen. War es traditionell in Japan zudem bislang so, dassUnternehmen auf gewaltigen, unproduktiven Cash-Beständen saßen, legen inzwischen immer mehr von ihnenWert auf höhere Renditen und Ausschüttungen.
So kauften japanische Unternehmen im Geschäftsjahr 2014/2015, das am 31. März ablief, so viele Aktien zurück wie seit sechs Jahren nicht. Dadurch steigt in der Regel der Wert der Aktien. Zudem will die Regierung die Unternehmen anhalten, ihreÜberkreuzbeteiligungen abzubauen. «Das lehnt sich an die Agenda 2010 von (Altkanzler) Gerhard Schröderan», erläutert Babucke. Von einemAufbrechen dieser Strukturen verspricht sichdie Regierung künftigmehr Wettbewerb.
Zu den Anreizen gehört auch ein neuer Index an der Tokioter Börse, derJPX-Nikkei400. Dort sind Unternehmengelistet, die im Sinne von «Abenomics»besonders effizient wirtschaften und hohe Eigenkapitalrenditen aufweisen. Zudem hat der staatliche Pensionsfonds GPIF, die größte Pensionskasse der Welt, entschieden, von Staatsanleihen stärker in Aktien umzuschichten. Auchsoll stärker in ausländische Papiere und Anleihen investiert werden.«Jetzt ist ein sehr guter Zeitpunkt für ausländische Firmen, Finanzierung in Japanzu tätigen», so Babucke.All diese Entwicklungen tragennicht nur dazu bei, dass die Börsenkurse zuletzt deutlich angezogen haben.
Mit den Reformen willRegierungschef Abe letztlicherreichen, dass die Industrie ihre globale Wettbewerbsstärke wiedererlangt.Experten zufolge haben die Unternehmengarkeine Wahl.«Angesichts der rapiden Überalterung der Gesellschaft wird Japans Wirtschaft noch viel schneller als bisher auf ausländische Märkte expandieren müssen», meintder ÖkonomMartin Schulz vom Fujitsu Research Institute. (dpa/gem)