Mehr reparieren statt austauschen bringt zusätzlichen Umsatz

München. Würden defekte Komponenten im Automobil häufiger repariert statt gegen Neuteile ausgetauscht, könnten die deutschen Autofahrer Milliarden sparen und die Werkstätten zusätzliche Wertschöpfung von mehr als einer Milliarde Euro erzielen. Zur diesem Ergebnis kommt eine umfangreiche Studie der Handwerkskammer Oberfanken, der Uni Bayreuth sowie der Fraunhofer-Projektgruppe Prozessinnovation.

Die Technik im Pkw wird ständig komplexer, immer häufiger werden Funktionseinheiten komplett ausgetauscht statt genau analysiert und gezielt repariert. Das ist für Kunden wie Werkstätten unerfreulich. Denn die Kunden müssen mehr zahlen und die Werkstätten verzichten auf Wertschöpfung. Nach Angaben des Gesamtverbands Autoteilehandel (GVA) entfallen im deutschen Werkstattgeschäft rund zehn Milliarden Euro auf Lohn und 20 Milliarden Euro auf Material.

Für die Studie "Kfz-Service 2020" haben die Autoren zusammen mit 25 oberfränkischen Kfz-Betrieben die Werkstattpraxis durchleuchtet und beispielhaft neue Servicekonzepte entwickelt, die das Ziel haben, gezielt nur die defekten Teile zu ersetzen oder zu reparieren statt eine komplett neue Funktionseinheit einzubauen. Der generelle Einbau von Neuteilen sei nämlich nicht nur unnötig teuer, sondern oft auch unwirtschaftlich: Müsse bei sieben bis zehn Jahre alten Klein- oder Kompaktwagen etwa eine elektrische Servolenkung oder das Kombiinstrument ersetzt werden, könnten die Reparaturkosten schon den Zeitwert übersteigen.

Dabei ermittelte die Studie auch die ökonomischen Folgen einer veränderten Reparaturstrategie. Für zehn beispielhafte Servicefälle kommen die Autoren auf eine jährliche Einsparung für die Kunden in Deutschland von 4,5 Milliarden Euro. Gleichzeitig könnten die Werkstätten rund 1,5 Milliarden Euro mehr Wertschöpfung verbuchen.

Dabei entfällt der Löwenanteil von 2,9 Milliarden Euro Einsparung und 685 Millionen Euro zusätzlicher Werkstattwertschöpfung auf die Reparatur von LED-Scheinwerfern. Nur für dieses Szenario verwendet die Studie eine Hochrechnung für das Jahr 2020, da LED-Scheinwerfer aktuell noch relativ selten sind, sich aber sehr schnell verbreiten dürften.

Die Autoren und Teilnehmer der Studie beließen es nicht bei der Theorie, sondern entwickelten für zehn Fälle auch konkrete Reparaturtechniken. Beispielsweise für Doppelkupplungsgetriebe, bei denen nur noch verschlissene Lamellen ersetzt werden. Oder für elektrische Servolenkungen, in denen nur noch der Asynchronmotor durch ein aufgearbeitetes Austauschteil ersetzt wird.

Weitere Beispiele sind:

– LED-Scheinwerfer (Gehäuse öffnen und einzelne LED oder Scheinwerferscheibe austauschen),

– Turbolader mit variabler Geometrie (nur das VTG-Stellglied durch ein aufgearbeitetes Austauschteil ersetzen),

– Rückfahrkamera (defektes Gehäuse durch ein per 3D-Druck erstelltes Gehäuse ersetzen, statt komplette Kamera tauschen),

– Organobleche (neues Verfahren zur Reparatur von Rissen oder Löchern),

– Common-Rail-Injektoren (Reinigung mit neu entwickeltem Verfahren statt Kompletttausch),

– Traktionsbatterien/E-Mobilität (Austausch einzelner Zellen statt kompletter Batterie).

Bei der Suche nach Ursachen für den Trend zu Austausch statt Reparatur stellten die Studienautoren auch fest, dass nicht nur die Komplexität von Systemen im Fahrzeug, sondern auch die Komplexität der Fehlersuche zur Austauschmentalität beiträgt. So kommen die Autoren zu der Erkenntnis, "dass der Anteil an der Arbeitszeit, in dem mit einem Diagnosecomputer am Fahrzeug gearbeitet werden muss, schon als dermaßen hoch empfunden wird, dass verfügbare Diagnosetester oft gar nicht bis zum Ende ausgereizt werden: Statt bis hinunter zum einzelnen Stellglied oder Sensor zu testen und jeweils individuelle Soll-Ist-Vergleiche anzustrengen, wird lieber gleich die komplette teure Baugruppe ersetzt."

Auf der Teileseite sieht die Studie ein großes Potenzial für die Aufarbeitung von Teilen. So seien zu viele Teile "bisher lediglich als teure neue Ersatzteile, jedoch nicht als erschwingliche neuwertige Austauschteile aus der Refabrikation am Markt verfügbar. Dies gilt einerseits innerhalb einer bestimmten Teileklasse wie etwa Turbolader, wo die Sortimentsbreite längst nicht alle Fahrzeugtypen und Modellreihen umfasst, andererseits auch für ganze Teileklassen wie die Monitore von Navigationsgeräten, für deren Ersatz schon bei einem durchschnittlichen Mittelklassenwagen ein Ersatzteilpreis von 1600 Euro ermittelt wurde."

In Bayern können die Werkstätten bereits von den Ergebnissen der Service-Studie profitieren: Die für die ausgewählten Servicefälle entwickelten zehn neuen Serviceprozesse fanden bereits Eingang in neue Lehrgangskonzepte der Handwerkskammer für Oberfranken. Entsprechende Kurse stießen auf eine sehr große Resonanz, wie die Studienautoren betonen. Hunderte von Teilnehmern sowohl aus markengebundenen als auch aus freien Werkstätten konnten sich mit den anstehenden Aufgaben im Kfz-Service 2020 vertraut machen.

Bundesweit müssen Kfz-Werkstätten aber offenbar noch warten, bis sie die neuen Reparaturtechniken nutzen können. Denn mit seiner Förderung der Studie hatte das bayerische Wirtschaftsministerium als Geldgeber die Auflage verbunden, dass die detaillierten Resultate der Projektarbeiten zunächst drei Jahre lang Kfz-Servicebetrieben in Bayern vorbehalten bleiben sollen.