Der große Ruck, die frische Perspektive, der kreative Aufbruch wird auf der IAA wohl fehlen. Ein Vorurteil? Oder mangelt es der Branche gegenwärtig tatsächlich am nötigen Drive? Die Automobilwoche sprach darüber mit Oliver Heil, Professor für Marketing an der Uni Mainz.
Herr Heil, wenn man sich die IAA-Premieren ansieht, fühlt man sich wie im Film "Und täglich grüßt das Murmeltier". Täuscht der Eindruck, oder dreht sich die Autoindustrie tatsächlich im Kreis?
Der Eindruck trifft durchaus zu, und ich denke, dass sich daran auch nicht mehr viel ändern wird. Um es mal positiv zu sagen: Es gibt an vielen Autos ja auch kaumnoch etwas zu verbessern. Salopp gesagt sind die deutschen Hersteller die Weltmeister in derTechnologie des Verbrennungsmotors. Das Problem ist, dass genau diese Technologie wohl bald obsolet sein wird.
Autos mit herkömmlichem Antrieb fahren also in die Sackgasse?
Ja, danach sieht es aus. Wenn zum Beispiel ein Hersteller sein neues Topmodell unter anderem damit anpreist, dass es nun eine horizontale Chromspange am Heck habe, dann ist das ein deutliches Indiz dafür, dass man dem Ende des Entwicklungshorizonts dieser Technik sehr nahe ist.
Was müsste passieren?
Das, was im Grunde alle wissen. Nämlich eine radikale Neuorientierung. Zum Beispiel eine Fokussierung auf Elektroantriebe.
Die sehen Sie nicht?
Bei Tesla, einem der wertvollsten Autohersteller der Welt, schon. Bei den deutschen Herstellern eher nicht. Die bauen zwar nahezu perfekte Produkte, doch mit technischen Innovationen glänzen sie kaum noch. Fast alles dreht sich inzwischen um die Augmentierung. Das sind sozusagen die Storys rund um den eigentlichen Produktkern, etwa die Tradition, die Markenstory oder experimentelle Variablen wie Freundschaft, Lebensgefühl, Geschlechtergleichheit, Wohlfühlen. Darüber wird in weiten Teilen der Autoindustrie viel und gerne geredet – weil es sonst kaum echte Innovationen gibt.
Sehen Sie Ansätze, dass sich da-ran etwas ändern wird?
Bedauerlicherweise nein. Das liegt vor allem auch an einer derzeit unglücklichen Gemengelage. Niemand möchte etwas verlieren. Die Gewerkschaften keine Arbeitsplätze, die Politiker keine Wählerstimmen und die Vorstandsvorsitzenden weder ihre Jobs noch ihre Boni. Genau dieses Risiko jedoch bestünde, wenn man sich in großem Stil auf eine neue Technologie einlassen würde. Es geht ja nicht darum, hier und da ein bisschen was zu ändern, sondern es geht um einen fundamentalen Kurswechsel. In anderen Branchen war bereits zu erleben, was das bedeuten kann.
Sie spielen auf Uber oder Airbnb an, die weltweit die Taxi- und Hotelbranche herausfordern?
Zum Beispiel. Oder denken Sie an Kodak. Die waren mal Weltmarktführer der Fotobranche, dann wurden sie von der digitalen Fotografie regelrecht vom Markt gespült. Ironischerweise hatte Kodak die digitale Fotografie zuvor erfunden.
Was Sie beschreiben, ist weithin bekannt. Dennoch vermitteln viele Autohersteller den Eindruck, es würde noch lange wie gewohnt weitergehen. Warum?
Was die deutschen Hersteller betrifft, unter anderem deshalb, weil sehr viel Managementkapazität durch die aktuellen Krisen gebunden wird, also den Abgas- und Kartellskandal. Die deutschen Hersteller sehen sich in einem Zweifrontenkrieg, der nur schwer zu gewinnen ist: Zugleich marktfeindliche Strukturen ausrotten und fundamental neue Produkte auf den Markt bringen, das ist eine Herkulesaufgabe.
Es gibt Ausnahmen, etwa BMW, die mit dem i3 vor vier Jahren ein innovatives E-Auto lancierten.
Das war grundsätzlich richtig und ein rundum lobenswerter Ansatz. Allerdings hat der Wagen ein paar konzeptionelle Schwächen – etwa das merkwürdige Türkonzept – und er sieht gewöhnungsbedürftig aus. Es war von vornherein klar, dass der i3 nicht alles verändern würde. BMW hat es aber zumindest versucht und sollte künftig die Nase etwas vorn haben.
Kleine Firmen sind oft mutiger und kreativer als große Konzerne. Gibt's ein "to big to innovate"?
Das könnte man so sagen. Andererseits ist gerade in der Autoindustrie Größe wichtig, denn nur aufgrund der Skalierbarkeit können überhaupt Fahrzeuge, deren Entwicklung mitunter einige Milliarden Euro kostet, überhaupt auf den Markt gebracht werden.
Welche Autos, welche Technik vermissen Sie auf der IAA?
Ein Auto, das sich dem Bedarf anpasst, das sich modular vom Ein- zum Mehrsitzer wandeln lässt. Dann Radnabenmotoren als innovative Antriebslösung. Und ganz persönlich träume ich von einem viertürigen Cabrio aus Stuttgart.
Das Interview führte Jürgen Pander