München. Dass Autos immer komplexer werden, stellt die Werkstätten zunehmend vor Herausforderungen. Schon in der Markenwerkstatt braucht der einzelne Mechatroniker immer mehr Wissen, um die aufwendigen Reparatur- und Wartungsabläufe einhalten zu können. In der freien Mehrmarken-Werkstatt sind diese ohne Hilfsmittel bereits jetzt kaum noch zu meistern. "Angesichts der steigenden Komplexität kommen die klassischen Reparaturanweisungen und Trainingsansätze an ihre Grenzen – spätestens in den freien Werkstätten, die in der Regel viele Marken abdecken müssen", sagt Philipp Grosse Kleimann, Partner und Aftermarket-Experte bei Roland Berger.
Revolution auf der Nase
Eine potenzielle Lösung, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden, mutet heute noch recht futuristisch an: Augmented Reality, die Erweiterung der Wirklichkeit durch den Computer. Beim Mechatroniker der Zukunft könnte sie auf seiner Nase stattfinden. Für die Fahrzeugannahme mag noch ein Tablet die bessere Wahl sein, weil man darauf dem Kunden mit Videos und Schaubildern zeigen kann, was zu tun ist. Doch in der Werkstatt ist die Datenbrille das Mittel der Wahl. "Ganz einfach, weil man beide Hände frei hat", sagt Grosse Kleimann. Mit den entsprechenden Daten versorgt, könnte solch eine Brille viel Zeit sparen helfen, weil sie es unnötig macht, zwischen den einzelnen Schritten die Anleitung zu konsultieren. "Auch die Reparatur- und Fehlerquoten lassen sich so verbessern, was wiederum Kosten spart und die Kundenzufriedenheit vorantreibt." Mit der Brille als Teil der Werkstattausrüstung habe man endlich eine Technik, die der zunehmenden Komplexität Herr werde.
Grosse Kleimann erwartet, dass die Datenbrillen zunächst in den Werkstätten der herstellergebundenen Betriebe Einzug halten werden. Erste Test- und Pilotprojekte gebe es bereits, beispielsweise bei VW oder BMW. "Aber das größte Potenzial sehe ich langfristig ganz klar im freien Aftermarket." Dort habe man im Mehrmarkenbereich typischerweise Personal, das bei Qualifizierungsprofil und Bezahlung nicht mit Markenwerkstätten mithalten könne. "Wenn diese schlechteren Voraussetzungen der freien Werkstätten mithilfe einer Datenbrille gemildert oder gar ausgeglichen werden können, ist das die paradetypische Anwendung der Zukunft – dann wäre das eine Killer-Applikation."
Auf diese Weise könne die Datenbrille langfristig auch eine Verschiebung der Marktgewichte zugunsten der freien Mehrmarkenwerkstätten mit voranbringen.
Als Treiber der Entwicklung sieht Grosse Kleimann zum einen Hersteller von Diagnosegeräten wie Bosch oder Continental, zum anderen Internetkonzerne wie Google oder Apple. Die erste Version von Google Glass sei für solche Anwendungen nicht sehr geeignet gewesen, doch bei der zweiten Version, die für Anfang kommenden Jahres erwartet wird, sieht Grosse Kleimann mehr Potenzial. Beim Preis für die Hardware erwartet der Experte langfristig Skaleneffekte durch Anwendungen im industriellen Bereich. Schließlich gibt es auch außerhalb der Autowerkstatt eine Vielzahl von Anwendungsbereichen, vom Maschinenbau bis zur Logistik.