Detroit. Sergio Marchionnes Wunsch nach einer Fusion mit General Motors nehmen nur wenige Kenner der Autobranche ernst. In den Führungsetagen der Wettbewerber wird das Vorhaben des Chefs von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) hinter vorgehaltener Hand als Akt der Verzweiflung interpretiert. Und dennoch gibt es gute Gründe, warum sich die Gerüchte so hartnäckig halten. Denn bereits zum dritten Mal innerhalb von acht Jahren ist ein Zusammenschluss aus GM und Chrysler im Gespräch. Der jüngste Flirt hält diese Idee am Leben.
Als beide Unternehmen 2008 beziehungsweise 2009 dem Konkurs entgegensteuerten, reizte die GM-Führungsspitze an einer Kooperation mit Chrysler vor allem eine jährliche Kosteneinsparung von geschätzt sieben Milliarden Dollar, wie der damalige stellvertretende GM-Chef Bob Lutz Automotive News, Schwesterzeitung der Automobilwoche, verriet. Marchionne möchte zusammen mit „einem anderen großen Hersteller“ fünf Milliarden einsparen. GM könnte dieser Hersteller sein.
Einsparungen gesucht
Schon Anfang 2007 interessierte sich GM für den US-Konkurrenten, als Daimler seine Ehe mit Chrysler beenden wollte. Neben Gesprächen auf höchster Ebene hatten gemeinsame Arbeitsgruppen alles unter die Lupe genommen – bis hin zu Werksschließungen. Das Beste von Chrysler und GM sollte verschmolzen werden. „Alle Beteiligten waren dafür, weil die Einsparungen offensichtlich waren“, sagte Lutz. „Wir hätten das gemeinsame Volumen, aber nicht die gemeinsamen Fixkosten.“
Doch nicht nur die Kostensenkungen waren reizvoll, sondern auch die Chancen bei den Produkten: Die Pick-up-Marken Chevrolet Silverado, GMC Sierra und Ram hätten Plattformen übernehmen, Heckantriebsarchitekturen miteinander kombinieren und für Jeep ein großes SUV entwickeln können. Der GM-Vorstand hielt es letztlich jedoch für unklug, auf ein Unternehmen mit leeren Kassen und Altlasten aus Gewerkschaftsstreitigkeiten zu setzen. Heute würde eine Fusion ebenfalls Risiken bergen: Fiat leidet in Europa unter Überkapazitäten und ist in China spärlich vertreten.
Doch trotz der Risiken gibt es Chancen bei einem teilweisen oder vollständigen Zusammenschluss. Max Warburton, Analyst bei Bernstein Research, hält Einsparungen von jährlich weit mehr als fünf Milliarden Dollar für möglich – eventuell sogar doppelt so hohe: Neben gemeinsamen Antrieben und Plattformen resultierten die Vorzüge aus der Kombination der Produktion und der Vertriebswege beider Unternehmen in Nordamerika. Sie könnten Überschneidungen in Lateinamerika beseitigen, wo GM und Fiat zwar stark sind, aber unter Problemen leiden. In Europa könnten Opel und Fiat zusammengelegt werden.
Risiken gibt es natürlich im Überfluss: In vielen Regionen käme es zu kartellrechtlichen Prüfungen – vor allem in den USA, wo GM zusammen mit FCA den Lkw-Bereich dominieren würde. Zwischen Opel und Fiat könnte es Differenzen geben, und auch SAIC als größter GM-Partner in China könnte eine Fusion vereiteln. Was noch schwerer wiegt, sind Marchionnes begrenzte und allenfalls langfristige Möglichkeiten, General Motors überhaupt an den Verhandlungstisch zu holen. Er hat dazu angeblich bereits Investoren um Hilfe gebeten. Marchionne könnte auch versuchen, durch den Kauf von Anteilen einen Sitz im GM-Vorstand zu ergattern – auch wenn das die Kartellbehörden auf den Plan rufen könnte.
Marchionne als Argument
Und Marchionne könnte eine feindliche Übernahme starten. Aber eine erfolgreiche, Eigenkapital-finanzierte feindliche Übernahme eines größeren Unternehmens durch ein kleineres wäre beispiellos – in jeder Branche. Letztlich besteht Marchionnes einzige Chance darin, die großen GM-Investoren vom größten Pfund seines Unternehmens zu überzeugen: Marchionne selbst und sein Versprechen von mehr Wirtschaftlichkeit, meint Warburton. Der Analyst glaubt, dass die Mechanik einer Fusion „wild aussieht, aber nicht unmöglich ist. Diese Idee muss ernst genommen werden.“