Herr Rinderknecht, Sie sind bekannt für extravagante Concept Cars. Woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Vor etwa zehn Jahren wurde es relativ schwierig, noch etwas Neues zu entwickeln. Es wirkte, als hätte die Automobilindustrie alle Errungenschaften schon ausgeschöpft. Mit den aktuellen Entwicklungen ist es dagegen geradezu leicht, sich etwas Innovatives auszudenken. Denn die Einflüsse von Technologien wie Elektrifizierung oder autonomem Fahren werden revolutionär sein - und nicht evolutionär.
Die Spielwiese ist also größer geworden?
Nicht nur größer, sondern auch saftiger.
Ihre aktuelle Studie MetroSnap feierte auf der CES Weltpremiere. Was ist die Botschaft?
Damit wollen wir unsere Idee des modularen Aufbaus weiterdenken. Anfangs wurden wir noch belächelt. Das hat sich aber geändert, seit große OEMs ebenfalls modulare Visionen zeigen. Unsere Idee wurde dadurch validiert. Bereits die beiden Vorgängerstudien waren Konzepte, bei denen Fahrwerk und Aufbauten voneinander getrennt sind. Beim MetroSnap haben wir nun ein eigenes Wechselsystem entwickelt. Denkbar ist etwa der Einsatz als mobile Packstation. Ich befülle sie im Packzentrum, bringe sie in die entsprechende Nachbarschaft und stelle sie dort ab. Das ist ökologisch und ökonomisch effizienter und im Gegensatz zum stationären Prinzip näher am Kunden. Momentan blockieren etliche Fahrzeuge von Zustellern die Großstädte, wir bieten eine Alternative.
Welche Probleme können solche modularen Systeme denn lösen?
Die Thematik der Lebensdauer wird derzeit maßlos unterschätzt. Laut KBA muss ein Auto zwanzig Jahre alt sein, um es zu recyceln. Das Durchschnittsalter ist in Deutschland zehn Jahre. Seit rund zehn Jahren kommt aber immer mehr Elektronik in die Autos. Und zwar keine Elektronik, die fünfzig Jahre hält, sondern dynamische. Es gibt Sensorik, es gibt künstliche Intelligenz, es gibt Cloud-Technologie. Die wird aber in drei bis fünf Jahren alt. Das kennen wir vom Smartphone. Irgendwann ist die Hardware so alt, dass neue Software nicht mehr funktioniert. Wenn aber das Updaten unmöglich wird, kaufen die Leute ein neues Smartphone. Das ist bei einem Auto schon aus ökonomischen Gründen nicht so einfach. Doch da die automobile Zukunft eine elektronische sein wird, wird sich die Lebensdauer der Autos verkürzen. Konzepten wie MetroSnap liegt die Prämisse zugrunde, dass ein automatisiertes Auto nicht mehr privat besessen wird – und es zudem in seinen fünf Jahren Lebenszeit so viel wie möglich fährt, anstatt am Straßenrand zu stehen. Ich denke, das könnte ein charmanter Lösungsansatz sein. Ob er Realität wird, weiß ich nicht.
Mit dem microMax haben Sie 2013 bereits ein Mobilitätskonzept vorgestellt, dass Realität geworden ist. Ihre Vision von damals klingt wie eine Blaupause für Moia. Gab es Geld oder hat Moia bei Ihnen abgeguckt?
Eher das Letztere. Nur wissen wir ja zum Glück, wer es erfunden hat – die Schweizer. Wir konnten uns das Konzept damals nicht patentieren lassen und bekommen dementsprechend auch kein Geld von VW. Auch der Ruhm bleibt uns verwehrt. Ich habe aber wenig Lust, mich mit Rechtsanwälten herumzuschlagen. Deshalb gilt weiterhin: Ich muss schneller und innovativer sein als der Markt. Auf das Wechselsystem haben wir übrigens ein Patent.
An Ihren Studien lässt sich die Entwicklung vom Sportwagen-Tüftler zum Mobilitäts-Pionier ablesen. Hat sich Ihr Blick auf die Autowelt so drastisch verändert?
Ja, das kann man so sagen. In gewissen Beziehungen habe ich mich von Saulus zum Paulus gewandelt. Früher war ich in der Tuningindustrie zuhause. Das ist keine Vergangenheit, derer ich mich lobe. Das würde ich heute nicht mehr tun. Aber das war alles zu seiner Zeit. Damals hat noch keiner von CO2 oder Verbrauch gesprochen. Heute sieht das anders aus. Unsere populärste Studie war der "sQuba" von 2008, ein Sportcabrio, das tauchen kann. Das hatte James-Bond-Charakter, noch heute kommen dafür die meisten Film- und Fotoanfragen. So ein Auto würde ich heute nicht mehr bauen. Wir sind in den letzten Jahren immer seriennaher, immer übersetzbarer geworden. Das ist eine spannende Entwicklung, auch für mich. Ich sehe das als große Chance.
Sie waren im Januar auf der CES (Consumer Electronics Show) – wie wichtig wird diese Messe in Zukunft für die großen Autohersteller?
Mobilität in der Innovation hat in den letzten Jahren einen sehr hohen Stellenwert an der CES gewonnen. Die meisten Hersteller zeigen da etwas Visionäres, weniger die Weltpremiere eines Serienmodelles. Die CES liegt im Trend. Aber man muss auch schauen, was Sinn ergibt. Vielleicht sollte man fragen: Braucht es Messen überhaupt? Ich persönliche liebe sie. Dort treffen sich in kurzer Zeit so viele Leute aus einer Branche, wie eigentlich das ganze Jahr über nicht. Die entscheidende Frage aber ist, welche Messe-Formate wirklich noch tragfähig sind.
Schon vor der Absage stand Genf unter Druck. Was muss sich ändern, damit der Autosalon wieder den Charakter einer Leitmesse annimmt?
Es ist schwierig, das Kind wieder herauszuziehen, wenn es schon im Brunnen schwimmt. Die IAA in Frankfurt ist bereits tot. Wie sie wieder auflebt, ist ungewiss. Wenn wir uns Genf angucken, sieht man schon sehr viele Platzhalter für Aktivitäten, die mit einer Automesse eigentlich nicht viel zu tun haben. Die Zeichen der Zeit wurden ignoriert. Und die kamen ja nicht über Nacht, aber in Genf war man verwöhnt. Jetzt besteht die Gefahr, dass die Probleme von IAA und Genf eine Lawine auslösen und es geradezu salonfähig wird, nicht auf eine Automesse zu gehen, sondern andere Formate zu bespielen. Die Herkulesaufgabe für Automessen lautet: Wie definiere ich mich neu? Drücken wir die Reset-Taste und beginnen ganz von vorn? Oder holen wir das Kind tatsächlich aus dem Brunnen? Es ist schwierig.
Ist das Konzept Automesse überhaupt noch zukunftsfähig?
Diese Frage muss man sich stellen. Die CES ist beispielsweise eine reine B2B-Messe. Genf und IAA sind beides. Erst ein paar Pressetage B2B, dann eine reine Verkaufsmesse. Ein potentieller Käufer will aber etwas anderes sehen als ein potentieller Geschäftspartner. Was ich ebenfalls nicht nachvollziehen kann, ist die Messedauer von dreizehn Tagen. Das will keiner mehr, das ist viel zu lange. Die CES geht vier Tage. Wenn das, was bisher geschah, schon das Ende der Kreativität ist, dann sehe ich schwarz für das Konzept Automesse.
Abgesehen von den Messen – wie ist die Branche insgesamt für die Zukunft aufgestellt?
Dass die deutsche Autoindustrie ihr Handwerk versteht, bezweifelt keiner. Je schwerer aber der Rucksack ist, desto schwieriger ist es, den Kurs zu ändern. Herr Diess hat beispielsweise verstanden, worum es geht, muss aber 650.000 Mitarbeiter hinter sich bringen. Ein großer Newcomer wie Tesla geht natürlich mit einem kleineren Rucksack an den Start. Da sehe ich in Deutschland Handlungsbedarf. Technologisch gesehen ist es absolut top, aber der Kundenfokus scheint zweitrangig zu sein.
Die deutschen Hersteller müssen also kundenorientierter agieren?
Wenn ich jemanden, egal wo auf der Welt, nach einer Elektroautomarke frage, bekomme ich mit Sicherheit als Antwort: Tesla. Die haben es geschafft, in zehn Jahren von Null auf Hundert die populärste Elektrofahrzeugmarke zu sein. Was machen die anders? Die können Faszination, die können Emotion darstellen. Tesla bietet zwar nicht die gleiche Qualität wie ein deutsches Fahrzeug, aber der Käufer schaut drüber hinweg, er will Pionier sein. Wenn ich eine Schweizer Uhr kaufe, habe ich auch eine eklatante Differenz zwischen Preis und Performance. Aber ich kaufe nicht nur ein Zeitmessinstrument, sondern ein Statement. Und weil ein Elektroauto noch nicht den Komfort eines Verbrenners bietet, muss ich doch dieses Performance-Manko mit Emotionen füllen. Dann wird es auch gekauft. Es sind eben deutsche Ingenieure, die die deutschen Autohersteller führen. Das richtige Kundenverständnis, wie es die Amerikaner beherrschen, ist da nur begrenzt vorhanden.
Das Interview führte Matthias Kriegel.