Der Car Guy hat ausgedient

München. Kaum ein Treffen kann mehr hochkarätige Köpfe vorweisen als das Weltwirtschaftsforum in Davos. Hier kommen jene zusammen, die über die Entwicklung der Welt entscheiden. Ihr Gastgeber ist jedes Jahr Klaus Schwab. Und der hatte sich in diesem Jahr ein Thema ausgesucht, das im Fokus der Autobranche steht: die vierte industrielle Revolution. "Sie wirbelt fast jeden Industriezweig in allen Ländern durcheinander", sagt Schwab.

Da braucht es dringend einen, der Ordnung schafft und den Überblick behält. Der Organisationen auf die Revolution vorbereitet und unbeschadet, besser noch: gestärkt, hindurchführt. Einen Digitalexperten, neudeutsch: Chief Digital Officer (CDO). Unter diesem Titel reiht sich der Leiter des Digitalen bei den Oberen im Konzern ein.

"Er muss sicherstellen, dass das Unternehmen sich entlang des anstehenden technischen und gesellschaftlichen Wandels mitentwickelt", sagt der Personalberater Dwight Cribb, der sich auf die Suche nach eben diesem neuen Manager-Typus spezialisiert hat.

Die ersten Konzerne haben den Handlungsbedarf erkannt. Volkswagen hat Johann Jungwirth von Apple abgeworben und ihn zum Leiter Digitalisierungsstrategie gemacht. Er berichtet direkt an Konzernchef Matthias Müller. Beim französischen Autobauer PSA Peugeot Citroën verantwortet seit Februar Brigitte Cantaloube das Ressort Digitales. Sie war ursprünglich Verlagsmanagerin bei Yahoo Europe und berichtet jetzt direkt an Konzernchef Carlos Tavares.

Auch Schaeffler hat seit Oktober mit Gerhard Baum einen CDO, der von IBM zum Autozulieferer nach Herzogenaurach kam. Er ist in seiner Position an den stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden, Technikvorstand Peter Gutzmer, gekoppelt. "Die Achse CEO-CDO muss eine der stärksten im ganzen Unternehmen sein. Der Transformator braucht die volle Rückendeckung von der Konzernspitze, sonst ist das Thema von Anfang an zum Scheitern verurteilt", sagt Cribb.

Um sich mit Digitalexperten einzudecken, schaut sich die Autoindustrie in der IT-Welt um: bei der Telekom, IBM, Apple oder Yahoo. Die neuen Manager sind branchenfremd und oftmals die einzige Person auf ihrer Ebene ohne den Stallgeruch der Autobranche. "Ein klarer Unterschied zu den anderen Positionen", sagt Walter Friederichs, Automobilexperte und Partner bei der Personalberatung Russell Reynolds. 93 Prozent der Führungskräfte, die nach 2013 bei Herstellern und Zulieferern installiert wurden, kommen aus der Autobranche. Das Gros der Manager ist zwischen 51 und 65 Jahre alt (siehe Grafik).

Ist das die richtige Struktur, um tief greifende Veränderungen herbeizuführen? "Viele haben erkannt, dass sie handeln müssen. Aber für meinen Geschmack geht das noch vehementer. Mir fehlen der Nachdruck und die Radikalität, mit denen Strukturen und Prozesse infrage gestellt und verändert werden", sagt Friederichs. Denn die neuen Wettbewerber wie Google und Apple müssen sich auf den digitalen Wandel nicht erst einstellen. Sie leben davon. Dabei gilt es nicht nur, Schlüsselstellen mit den Richtigen neu zu besetzen, sondern im Unternehmen auch den Geist für diese Transformation zu schaffen. "Das erfordert die Einsicht, dass bewährte Verhaltensmuster künftig nicht mehr greifen und Hierarchien und alte Führungsstrukturen so nicht mehr erfolgreich sein werden", sagt Friederichs.

Darum muss der CDO nicht nur Umwälzungen in Gang bringen, sondern diese Veränderungen mit Fingerspitzengefühl durchführen. Ein schwieriger Job, der nicht immer zum Erfolg führt. Laut den Analysten von Gartner werden bis 2019 knapp 90 Prozent der großen Unternehmen einen CDO installiert haben. Aber nur die Hälfte von ihnen wird den Job mit Erfolg ausführen.

In der Autoindustrie ist der Erfolg eng an die Bedürfnisse des Kunden gebunden. Deshalb ist der Leiter des Digitalen vor allem Dolmetscher und Vermittler zwischen traditioneller "Old Economy" und neuer Tech-Welt. Die Zyklen in der Automobilproduktion müssen sich denen der Startup- und Tech-Welt anpassen, wo Produkte mit einem ganz anderen Ansatz auf den Markt kommen. Bei Samsung, Apple und Tesla ist die Hardware eine gut aussehende Plattform in Form eines Handys oder Autos, auf die Software via Updates aufgespielt, verändert und verbessert wird.

Keines dieser Produkte sei starr wie heute ein Golf, wenn es auf den Markt komme, so Personalberater Cribb. "Das Produkt entwickelt sich durch die Benutzung durch den Kunden individuell weiter, weil er seine favorisierten Apps installiert und sich nicht nur mit den Voreinstellungen zufriedengibt. Ich glaube nicht, dass die Leute in Zukunft noch ein Auto kaufen wollen, das sich nicht personalisieren lässt", sagt er.

Doch für die Autobranche bedeutet diese Anpassung im Laufe des Produktlebens ein völliges Umdenken. Denn bislang wurde über Autos gespottet, die nach dem Bananenprinzip gebaut wurden: Sie reifen erst beim Kunden.

Von diesem Richtungswechsel sind auch Zulieferer betroffen. "Ich möchte eine digitale Sichtweise in eine heute noch stark physisch orientierte Welt einbringen", sagt Schaeffler-CDO Gerhard Baum. Für ihn ist wichtig, sich zum Kunden, in diesem Fall zum Hersteller, hin zu orientieren. "Durch unsere Services, gekoppelt mit intelligenteren Produkten, können wir so die Anlagenverfügbarkeit unserer Industriekunden steigern."

Es könnte für Zulieferer aber noch existenzieller werden, wenn die Hersteller den Schritt in die Zukunft verpassen. "Dann gilt es zu überlegen, welchen Platz ich als Zulieferer hier künftig habe und mit welchem Geschäftsmodell ich in Zukunft Geld verdienen werde", sagt Cribb. Man müsse einen neuen Stamm von Kunden wie Google oder Uber aufbauen.

Keine Transformation, keine Umwälzung geht ohne den Rückhalt der Mitarbeiter. Darum gab es bei der Weihnachtsfeier von Bernhard Speyers Team, dem Carglass-CDO, eine Tombola, bei der die Mitarbeiter alles vom Amazon TV bis zur Lampe mit Bluetooth-Anschluss gewinnen konnten – Hauptsache digital.