Vor bald 100 Jahren geschah in den USA Ungeheuerliches: Zum 1. Januar 1914 verdoppelte Henry Ford den Arbeitslohn in seinen Werken auf fünf Dollar pro Tag und damit auf ein Vielfaches des damals Üblichen. Gleichzeitig halbierte er den Verkaufspreis seines Model T auf 370 Dollar (9250 Dollar nach heutiger Kaufkraft). Ein Unternehmer, der heute dergleichen täte, würde wohl für unzurechnungsfähig erklärt. Nun war Ford ein Philanthrop, aber sicher nicht verrückt. Hinter dem ungewöhnlichen Schritt steckte auch unternehmerisches Kalkül: Die Ford-Arbeiter waren damit die ersten Autowerker, die sich ihr Produkt auch leisten konnten. So wurde das Auto in den USA zum Massenphänomen – 50 Jahre bevor dies in Deutschland geschah. Aber die Rechnung ging nur deshalb auf, weil die Produktivität in den mit Fließbändern ausgerüsteten Ford-Werken hoch genug war, mithin die Wertschöpfung der Arbeiter mehr als doppelt so hoch wie in anderen Autofabriken. Denn die Bänder liefen schnell, von den Arbeitern wurde viel verlangt.
Auch Ford hatte nichts zu verschenken. „Ich zahle nicht gute Löhne, weil ich viel Geld habe, sondern ich habe viel Geld, weil ich gute Löhne bezahle.“ Dieser Satz stammt von Fords Zeitgenossen und Zündungs-Lieferanten Robert Bosch. Bevor jetzt Applaus von der falschen Seite kommt: Sowohl Ford als auch Bosch hielten Gewerkschaften für überflüssig, und in ihren Werken waren sie das wohl auch. Dass Unternehmen – ob auf Druck von Gewerkschaften, der Politik oder freiwillig – die Lohnschraube auch überdrehen können, dafür ist ausgerechnet China das jüngste Beispiel. Billigautos von dort nach Europa zu bringen lohnt sich schon deshalb nicht, weil die Arbeiter in Schanghai längst mehr verdienen als ihre Kollegen in Osteuropa, wo die Produktivität aber höher ist. Apple denkt nicht nur wegen der schlechten Arbeitsbedingungen bei seinem Lohnfertiger Foxconn darüber nach, die Produktion seiner iPads und iPhones von China in die USA zurückzuholen. Ein solcher Schritt hätte auch Kostengründe. Foxconn selbst investiert 40 Millionen Dollar in Produktionsanlagen in den USA, um diesem Schritt zuvorzukommen. Was China fehlt, ist offenbar ein Henry Ford – der erst die Produktivität erhöht und dann die Löhne.