Sao Paulo. Jetzt also doch. Nach langer Suche und zähen Verhandlungen hat BMW sich entschieden: Für rund 200 Millionen Euro bauen die Bayern ihre erste Fabrik in Brasilien, in der ab 2014 bis zu 30.000 Autos pro Jahr vom Band laufen sollen. „Das ist für uns eine kleine Sensation“, sagt Cassio Campos vom Marktbeobachter Jato Dynamics. Zwar gibt es in Brasilien schon mehr als ein Dutzend Automobilwerke ausländischer Unternehmen. Doch nachdem Mercedes-Benz die Produktion in Juiz de Fora wieder eingestellt hat, fehlt dem Land eine „eigene“ Premiummarke, begründet Campos seine Freude. Dass sich BMW im Schatten des Zuckerhuts niederlässt, hat gute Gründe: Brasilien ist nicht nur der mit Abstand größte Markt in Südamerika und erreicht mittlerweile mehr Neuzulassungen als Deutschland, neben China und Indien ist Brasilien auch das Land mit den besten Prognosen. „Brasilien ist für die Autoindustrie ein Motor des Wachstums“, sagt VW-Chef Martin Winterkorn. Er rechnet damit, dass der Verkauf weiter anzieht. Statt heute etwa 3,4 Millionen könnten dort 2018 rund fünf Millionen Autos verkauft werden, schätzen die Niedersachsen.
Wer davon profitieren will, muss lokal fertigen. „Ähnlich wie China will auch Brasilien nicht nur als lukrativer Markt für die Fremden dienen, sondern zugleich die Produktion im eigenen Land ausbauen“, sagt Automobilwirtschaftler Ferdinand Dudenhöffer mit Blick auf Einfuhrzölle und Strafsteuern, die zusammen bis zu 60 Prozent des Kaufpreises ausmachen können. Deshalb ist BMW mit seinen Überlegungen nicht alleine. Auch Nissan baut gerade eine Fabrik im Land, die 2014 eröffnet werden soll. Hyundai hat sein Werk erst kürzlich eröffnet, und selbst der chinesische Hersteller JAC denkt über eine lokale Produktion nach, berichtet Jato-Manager Campos.Zwar hat die Regierung durch ihre rigide Zoll- und Steuerpolitik viele Fabriken mit einer Jahresproduktion von etwa 2,5 Millionen Fahrzeugen ins Land geholt. „Doch brasilianisch ist an der blühenden Automobilindustrie nicht mehr viel“, sagt Campos: In den 80er-Jahren war der Markt noch fest in der Hand heimischer Hersteller, doch mit dem Geländewagenspezialisten Troller ist auch der letzte brasilianische Automobilhersteller aufgekauft worden. Vor fünf Jahren ging Troller an Ford. „Und auch unter den vielen Hundert Zulieferern sind nur noch vier rein brasilianische Unternehmen“, so Campos weiter. Die Hersteller kommen aus dem Ausland. Aber die Autos werden nicht nur in Brasilien gebaut, sondern auch speziell für die Region entwickelt. „Sie müssen vor allem klein und billig sein“, sagt der Jato-Manager und beziffert den Marktanteil der Kleinstwagen für Preise deutlich unter 10.000 Euro auf mehr als 50 Prozent. Daran werde sich auch nichts ändern, wenn die Mittelschicht weiter wächst und neue Kunden auf den Markt drängen. „Teurere Autos wird sich die Mehrzahl der Kunden so schnell nicht leisten können.“Der durchschnittliche Neuwagenpreis liegt bei 13.000 Euro und die Zulassungen von Mercedes, BMW oder Audi bestenfalls im fünfstelligen Bereich. Darauf haben sich die Anbieter eingestellt und zur Motorshow in Săo Paulo zahlreiche neue Modelle für die unteren Preisklassen ins Rampenlicht gerückt. Weil auch Brasilien mittlerweile strengere Vorgaben zur Verbrauchsreduktion macht und höhere Anforderungen an die Sicherheit stellt, sind das in der Regel keine abgelegten Konstruktionen aus den reifen Märkten mehr. Die Neuheiten basieren meist auf aktuellen Plattformen aus dem globalen Produktportfolio, die für Südamerika allenfalls modi ziert und abgespeckt wurden. So nutzt der neue Chevrolet Onix die gleiche Architektur wie der Opel Corsa. Der Hyundai HB‑ ist ein entkernter Kleinwagen aus Europa, und bei VW lenken sie die Blicke nicht nur auf den Dauerbrenner Golf, der seit fast drei Jahrzehnten die Zulassungsstatistik anführt. Sondern VW hat auch den Up mit nach Săo Paulo gebracht. „Das ist ein Segment, in dem wir unser Angebot krä ig ausbauen müssen“, sagt der Statthalter Wolfsburgs, Thomas Schmall.Wie dieser Ausbau aussehen könnte, zeigt VW mit der Studie „Taigun“, einem kleinen Geländewagen auf Basis der New Small Family. 3,86 Meter kurz, mit einem 110 PS starken Dreizylinder-Turbo bestückt und auf Frontantrieb beschränkt, hat er nach Angaben von Entwicklungschef Ulrich Hackenberg beste Chancen auf eine Serienfertigung: „Und mit unseren rund 1000 Entwicklern haben wir hier in Brasilien eine Mannschaft, die so einen Wagen schnell auf die Straße bringen könnte.“ Dort würde er gut hinpassen. Zwar sind die meisten Autos in Brasilien Kleinwagen mit Steiloder Stufenheck. Und viel mehr Farben als Schwarz, Weiß und Silber sieht man auf der Straße nicht. Aber deshalb sind die brasilianischen Autokäufer noch lange keine Langweiler. „Im Gegenteil“, verteidigt Campos seine Landsleute und lenkt den Blick auf die zahlreichen Crossover-Modelle im Straßenbild. „Lange bevor in Europa Autos wie der Cross-Golf populär wurden, waren solche Fahrzeuge schon in Rio oder Săo Paulo unterwegs.“Nicht umsonst habe hier der Boom der kleinen Geländewagen begonnen, der jetzt brasilianische Modelle wie den Ford EcoSport auch in den Rest der Welt spült. Deshalb ist der Taigun auf der Messe auch nicht alleine: Nissan zeigt eine stärker überzeichnete, aber ganz ähnlich gestrickte Designstudie namens „Extrem“, aus der bis zur Werkseröffnung in Resende ein Billig-Juke werden könnte, und bei Renault dreht sich ein Duster, der zum Lifestyle-Mobil aufgerüstet wurde. Eine weitere Besonderheit zeigt der Blick unter die Haube der Modelle: Neun von zehn Neuwagen fahren dank Flexfuel-Technik mit Benzin oder Ethanol in nahezu jedem Mischungsverhältnis. „Aus Zuckerrohr gewonnenes Ethanol ist im Automarkt nicht wegzudenken und macht Brasilien zum weltgrößten Markt für Biokraftstoffe“, sagt Auto-Experte Dudenhöffer: Bei einem Verbrauch von mehr als 30 Milliarden Litern Ethanol im Jahr können die Brasilianer über die deutsche E10-Diskussion allenfalls schmunzeln.Autoboom am Zuckerhut
Jetzt also doch. Nach langer Suche und zähen Verhandlungen hat BMW sich entschieden: Für rund 200 Millionen Euro bauen die Bayern ihre erste Fabrik in Brasilien, in der ab 2014 bis zu 30.000 Autos pro Jahr vom Band laufen sollen. „Das ist für uns eine kleine Sensation“, sagt Cassio Campos vom Marktbeobachter Jato Dynamics.