München. Flexible Fahrzeugproduktion ist eine Kernkompetenz von Magna Steyr. Mit neuen Fertigungskonzepten will Karl Friedrich Stracke, Präsident des Bereichs Fahrzeugtechnik, den Vorsprung auf diesem Feld gegenüber den Automobilmarken halten.
Herr Stracke, auch die klassischen Automobilhersteller steigern die Flexibilität ihrer Werke immer weiter. Werden Auftragsfertiger noch gebraucht?
Ich bin sicher, wir werden mehr denn je gebraucht. Das können Sie schon daran ablesen, dass bei uns in Graz vom Frühjahr 2017 bis Mitte 2018 mehrere neue Fahrzeugmodelle von BMW, Daimler und Jaguar Land Rover anlaufen. Mit JLR haben wir einen neuen Kunden gewonnen. Für 2018 planen wir insgesamt 200.000 Einheiten. Damit ist das Grazer Werk wieder voll ausgelastet.
Haben die Automobilhersteller in Sachen Flexibilität nicht aufgeholt?
Wir verfügen in Graz schon heute über ein hoch flexibles Fertigungskonzept. Bereits 1999 konnten wir fünf verschiedene Fahrzeuge von drei Automobilherstellern auf einer Linie fertigen. Unsere Lackiererei kann mit verschiedenen Lacksystemen und über 50 Decklackfarben arbeiten. Aber wir sehen Flexibilität als "Moving Target" und entwickeln uns in diesem Bereich ständig weiter, um unseren Vorsprung auszubauen. Aktuell sind wir auf dem Weg zur Smart Factory.
Was bedeutet Smart Factory für Sie?
Mit der Smart Factory wollen wir uns noch agiler an den Markt anpassen, schneller die Volumina steigern und senken können – ohne hohe Fixkosten mitzuschleppen, um dadurch wettbewerbsfähiger zu werden.
Wie setzen Sie das konkret um?
Ein wichtiger Bestandteil der Fertigung der Zukunft ist für uns die digitale Fabrik: Wir haben von der Produktentwicklung bis in die Fertigung hinein eine durchgängige virtuelle Kette geschaffen, in die Fertigungsaspekte sehr früh eingebunden und Entwicklungszeiten deutlich reduziert werden.
Welche Vorteile bietet das?
Mit den Daten aus der Produktentwicklung können wir unmittelbar eine virtuelle Fabrik darstellen – und dabei frühzeitig Produktentwicklung und Fertigung aufeinander abstimmen, sodass ein wirtschaftlich zu fertigendes Produkt entsteht. Dadurch sind wir auch schneller. Innerhalb von sieben bis neun Monaten können wir ein neues Produkt in Serie bringen.
Ergibt sich dieser Zeitvorteil nur, wenn Sie das Fahrzeug auch entwickelt haben?
Nein, in dieser Frist von sieben bis neun Monaten können wir auch dann die Produktion starten, wenn wir für einen Automobilhersteller Produktionsspitzen abdecken sollen, die bei einem schon in Serie laufenden Fahrzeug auftreten. Wir speisen dann die Produktdaten in unsere virtuelle Fabrik ein und entwickeln damit den Fertigungsprozess sehr zügig.
Dafür benötigen Sie hohe Flexibilität aber nicht nur bezüglich der Produktionsvolumen, sondern auch für die Fertigung ganz unterschiedlicher Fahrzeuge.
Um flexibler unterschiedliche Fahrzeuge fertigen zu können, setzen wir auf ein ganzes Bündel von Neuerungen. In der Logistik führen wir fahrerlose Transportsysteme ein, wir arbeiten daran, Roboter und Menschen direkt zusammenarbeiten zu lassen – ohne Schutzzäune. Wir entwickeln "intelligente Gebinde", um das Material an der Linie optimal bereitzustellen. Mit additiven Fertigungsverfahren, dem 3D-Druck, werden wir neue Produkte schneller herstellen können. Wir werden Big Data nutzen, um die Instandhaltung zu optimieren und die Anlagenverfügbarkeit zu steigern.
Wann ist die Smart Factory bei Magna Steyr komplett?
Wahrscheinlich nie. Wir sehen das als kontinuierlichen Verbesserungsprozess an. Wesentliche Elemente werden wir mit dem Anlauf der neuen Fahrzeuge 2017 und 2018 umsetzen. Auf dieser Basis werden wir die Entwicklung aber weiter treiben und bei folgenden, neuen Projekten die Produktion immer weiter optimieren. Ein wesentlicher Punkt dabei werden auch Cloud-Lösungen sein, die Big Data nutzen, um mehr Informationen mit unseren Lieferanten auszutauschen, um so unsere Produktion besser zu steuern.
Geht es dabei vor allem um Software- und IT-getriebene Lösungen?
Natürlich hat auch die Hardware entscheidenden Einfluss darauf, wieviel Flexibilität wir in der Produktion realisieren können. Ob wir mehrere Modelle auf den gleichen Anlagen fertigen können, hängt unter anderem von den Materialien, vom Materialmix ab. Künftig werden wir beispielsweise eine komplette Rohkarosse aus Aluminium fertigen. Das lässt sich nicht in einem Rohbau realisieren, in dem wir Stahlkarossen fertigen. Wenn wir künftig verstärkt Mischbauweisen haben werden, könnte man vielleicht Unterzusammenbauten separat fertigen, aber die Karossen ansonsten durch die gleichen Framing- oder Schweißstationen laufen lassen.
Hoher Automationsgrad und Flexibilität gelten bislang als weitgehend unvereinbar – wie lösen Sie den Widerspruch?
Zum einen können wir auch automatisiert flexibler als heute fertigen, wenn wir Roboter nicht nur fixiert in Sicherheitskäfigen, sondern räumlich flexibel und für die Zusammenarbeit mit Menschen einsetzen können. Aber grundsätzlich müssen wir für jedes Projekt neu entscheiden, wie viel Automatisierung sinnvoll ist. Das hängt unter anderem von den Stückzahlen ab. Aber auch von den Konstruktionsprinzipien der Fahrzeuge.
Die Konstruktion bestimmt entscheidend über die Fertigungskosten mit – muss die Fahrzeugentwicklung sich stärker an Produktionsaspekten orientieren?
Aktuell setzt tatsächlich meist die Produktentwicklung die Vorgaben, die dann von der Produktion zu erfüllen sind. Aber ich glaube, um künftig kosten- und wettbewerbsmäßig einen Vorteil zu haben, muss man von Beginn an die Fertigungskosten stärker berücksichtigen, das Fertigungskonzept strategisch festlegen, sodass die Fertigung frühzeitig Einfluss auf die Produktkonzeption nimmt.
Können Sie die Smart Factory im Grazer Werk verwirklichen, oder benötigen Sie dafür ein neues Werk?
Umsetzen können wir die Smart Factory sicherlich in Graz. Aber natürlich haben wir immer auch ein Konzept für den weiteren Kapazitätsausbau bei entsprechenden Kundenaufträgen.