München. Die Avenue Georges V ist eine der feinsten Einkaufsadressen in Paris. In Gehweite vom Hotel Four Seasons trifft man auf Marken wie Louis Vuitton, Hermčs, Gianfranco Ferré, Givenchy – und BMW. Auf der berühmten Shoppingmeile der Reichen und Schönen hat die bayerische Premiummarke eine Boutique eröffnet, die von einem gewöhnlichen Autohaus so weit entfernt ist wie H & M von Chanel. Im Autohandel hat eine Revolution eingesetzt, und der BMW Brand Store an der Avenue Georges V ist ein Ergebnis dieser Entwicklung. Auch Audi und Mercedes haben die Zeichen der Zeit erkannt und ähnliche Auto-Boutiquen eröffnet. Der Audi-Flagship-Store findet sich auf der Piccadilly Street in London, ein Ableger der Mercedes-Niederlassung München am Odeonsplatz nahe der Feldherrnhalle. Da die Luxusfilialen oft nur Platz für ein einziges Ausstellungsfahrzeug haben, muss den Kunden die immer größere Modellpalette mittels moderner Technik nahegebracht werden. Allein die Präsentation der vielfältigen Ausstattungsvarianten wäre anders nicht möglich. Willkommen in der digitalen Auto-Boutique, im "Virtual Showroom“.
Klassische Autohäuser in Stadtrandlagen bieten den Kunden nicht das Verkaufserlebnis, das sich die Markenchefs von Audi, BMW, Mercedes und Porsche vorstellen. Zudem: Selbst der Hauptbetrieb der Mercedes-Niederlassung München, ein weithin sichtbarer Glasturm am Mittleren Ring, kann den potenziellen Kunden nicht mehr alle Modellvarianten in allen Motorisierungen zeigen – trotz 350 Vorführwagen. Vorbild der schönen neuen Autowelt ist eindeutig die Kultmarke Apple mit ihren Stores: Wer eine der neuen BMW-Boutiquen betritt, trifft zunächst nicht auf einen klassischen Verkäufer, sondern auf den "Product Genius“, einen meist jungen Mitarbeiter mit iPad, dem Berater an der "Genius Bar“ eines Apple Stores nicht unähnlich. Er oder sie soll den Kunden in die Markenwelt von BMW einführen und durch das Dickicht der Modelle und Ausstattungen lotsen. BMW-Vertriebsvorstand Ian Robertson: "Wir entwickeln mit großem Aufwand Features im Auto wie das Headup-Display, das dem Fahrer verschiedene Informationen auf die Windschutzscheibe spiegelt, sind aber noch nicht genauso gut darin, diese Extras zu verkaufen.“Auch deshalb habe man den Product Genius eingeführt. "Er ist Teil des neuen digitalen Verkaufsprozesses, er unterstützt den Verkäufer, indem er dem Kunden größtmögliche Informationen gibt.“ Der BMW i3, das erste Elektroauto der Marke, das im Herbst in den Handel kommt, wird gar nicht mehr anders verkauft. "Mit unserer neuen i-Marke werden wir neue Verkaufsprozesse einführen.“ "Der Autohandel“, so Robertson, "ändert sich so schnell wie die Produkte, die dort verkauft werden.“ Future Retail hat BMW diesen Prozess genannt. Einige der Neuerungen, zum Beispiel die virtuelle Produktpräsentation, können bereits in den Niederlassungen München und Zürich sowie bei der BMW-Tochter Mini in der Niederlassung Westfield in London erlebt werden.Apple Stores für Autos
Audi hat sich London für den Start seiner Vertriebsoffensive ausgesucht: In der Audi City, wie die Marke ihren Showroom in Piccadilly nennt, stehen mehr Power Walls und Multitouch Tables als Autos. An den Flachbildschirmen und Touchscreens können die Besucher die von ihnen individualisierten Modelle von außen und innen besichtigen, teilweise dreidimensional. Kunden können an Flachbildschirmen durch die Modellpalette und die unzähligen Varianten surfen, die sich in keinem Autohaus mehr ausstellen lassen. Allein für den Audi Q3 gibt es drei Millionen Ausstattungsmöglichkeiten – doppelt so viele, wie Audi im Jahr Autos produziert. Materialproben von Sitzleder, Oberflächen und Lack ersetzen das Erlebnis einer realen Fahrzeugbesichtigung zwar nicht ganz, sind aber als erster Kontakt zur Marke besser als der gute alte Autoprospekt.
Auch dem klassischen Autohandel steht die neue Technologie zur Verfügung: Audi hat alle Fahrzeugdaten seiner Modelle digital aufbereitet, um sie in den virtuellen Ausstellungsräumen zeigen zu können. Allein die Audi City in London hat 17 Terabyte auf ihren Servern. "Der klassische Autohandel erreicht heute nicht mehr alle Kunden“, rechtfertigt Sven Schuwirth, Leiter der Marken- und Vertriebsentwicklung bei Audi, diesen technischen Aufwand. Die Idee: Mögliche Kunden kommen beim Shopping eher zufällig in die Audi-Boutique. Ein Berater – kein Verkäufer – führt den Interessenten mit neuester Präsentationstechnik an die Marke heran und übergibt ihn bei ernsthaftem Interesse an einen Verkäufer oder einen Händler am Wohnort. Den Schritt, ihren Vertrieb ganz ins Internet zu verlegen, scheuen die meisten Automarken noch. Amazon für Autos gibt es noch nicht – aus gutem Grund: Nach der Immobilie ist das Auto die teuerste private Anschaffung. "Das kauft man nicht mal schnell im Internet“, so die gängige Meinung in den Marketingabteilungen der Hersteller. Auch wenn mittlerweile längst nicht mehr alle Interessenten eine Probefahrt wollen.Bei den Käufern in der Londoner Audi City verzichteten 70 Prozent darauf. Doch den Herstellern geht es um mehr als nur Verkaufserfolge, es geht um das "Markenerlebnis“, wie es Porsche-Vertriebsvorstand Bernhard Maier sagt. Er hat eine "Mobile Markenwelt“ gebaut, mit der Porsche auf Tour durch große Städte geht. "Das haben wir in Peking in einem Einkaufszentrum erfolgreich getestet. Da ging es auch darum, die Historie und den Markeninhalt von Porsche, aber auch die neuesten Produkte zu präsentieren“, sagt Maier. "Das werden wir im zweiten Halbjahr 2013 in Städten in China, Brasilien und Indien, aber auch in den reifen Märkten bei entsprechenden Gelegenheiten wiederholen.“ "In den nächsten fünf Jahren werden wir in der Automobilindustrie mehr Veränderungen sehen als in den 100 Jahren davor“, sagte BMW-Entwicklungschef Herbert Diess kürzlich. Offenbar gilt das auch für den Autohandel.