Volkswagen-Chef Herbert Diess nimmt in einem Interview kein Blatt vor den Mund: "Wir müssen die digitale Transformation bewältigen, wenn wir überleben wollen", sagt er Redakteuren der Wirtschaftszeitung Handelsblatt.
In der aktuellen Situation - also dem tiefgreifenden Wandel der Autoindustrie - müsse man "aufrütteln" und einen gesunden Realismus an den Tag legen, mahnt der VW-Chef. "Deshalb rede ich lieber Klartext." Noch schwieriger als der Wandel vom Verbrenner zum E-Motor sei es "das Auto nahtlos mit dem Internet zu verbinden."
Künftig böte vor allem die Intelligenz des Autos den Herstellern eine Möglichkeit sich von anderen zu differenzieren. "Jeder Wagen wird ein eigener Knotenpunkt in einer vernetzten Autowelt sein, da müssen wir ansetzen", meint der Konzernlenker.
Die Software im Auto spiele dabei "eine entscheidende Rolle", weil sie maßgeblich "den Charakter des Autos" definiere. Man müsse aber ehrlich sein: "Das ist bisher nicht die Domäne der deutschen Autohersteller, das können Konzerne wie Google und Amazon noch deutlich besser", gesteht Diess sich ein.
Für ihn entstehe der Druck in der Branche auch nicht durch neue Hersteller wie Tesla oder Geely, sondern durch die neuen Fähigkeiten, "die es im Zeitalter der Digitalisierung braucht", stellt er klar.
Und er betont: "Dass Fahrzeuge wegen eines Softwareupdates in die Werkstatt müssen, wird der Vergangenheit angehören. Das ist für uns viel bedeutender als der Wechsel in der Antriebstechnik vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb."
Diess bemängelt, dass VW als Hersteller bis heute kaum direkte Kundenkontakte habe, die Verbindungen laufen fast ausschließlich über die Händler. "Das wird sich ändern, etwa durch die Softwareupdates, die künftig die Hersteller versenden. Darum mussten wir auch mit unseren Händlern neue Verträge aushandeln", erklärt er.
Der VW-Chef gesteht auch ein, dass der Autokonzern noch in vielen Bereichen der Digitalisierung hinterherfahre. Es gebe immer noch zu viele Autofahrer, die sich unterwegs lieber auf Handy-Informationen statt auf die Navigationsgeräte der Autobauer verließen. So sei die Datenqualität der IT-Anbieter "eindeutig besser", weil sie im Moment noch mehr Daten hätten als die Autokonzerne.
Wichtig zudem das Thema Softwareexpertise. Unter den rund 10.000 Entwicklern in Wolfsburg befinden sich nur wenige Hundert Softwareexperten. Diess: "Also müssen wir uns diese Fähigkeiten erschließen, auch durch Partnerschaften mit anderen Unternehmen. Wir brauchen hier einen extrem schnellen Kompetenzaufbau. Daher arbeiten wir an Partnerschaften oder Akquisitionen von Softwareunternehmen. Hier werden wir in den kommenden Monaten weitere Ergebnisse sehen", verrät Diess dem Blatt.
Konkreter wird der Konzernchef allerdings leider nicht. Die Botschaft aber ist klar: Wird VW kein Techunternehmen, das schneller agiert und deutlich mehr IT- und Softwarekompetenz aufbaut, sieht die Zukunft düster aus.
Diess selbst nennt ein mahnendes Beispiel: Die Fotobranche. Die einstigen Platzhirsche wie Agfa oder Kodak sind mit der Digitalfotografie nahezu komplett vom Markt verschwunden. Das soll VW nicht passieren. Vor einem ähnlichem Bedeutungsverlust hatte Ende 2014 vor VW-Führungskräften schon Diess' Vorvorgänger im Amt des Konzernchefs, Martin Winterkorn, auch mit Blick auf Unternehmen wie Eon, Nokia, Blackberry und Sony gewarnt; Automobilwoche berichtete damals exklusiv.
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