Der Berliner Thinktank Agora Verkehrswende forscht zur Mobilität der Zukunft. Direktor Christian Hochfeld nimmt Stellung zu sieben zentralen Thesen der Automobilbranche 2023. Am 10. Januar wird er auch beim Mobilitätsgipfel im Kanzleramt dabei sein.
"Sie müssen das Huhn erst noch rupfen"
Christian Hochfeld, Direktor von Agora Verkehrswende, prüft im Exklusiv-Interview sieben steile Thesen zum Automobiljahr 2023. Was wird aus e-Fuels, aus Wasserstoff, dem Verhältnis zu China und dem Trend Car-Sharing?
"Wenn damit gemeint ist, dass die deutsche Automobilindustrie Ihr Engagement in China zurückfährt, dann teile ich diese These so nicht. Wer das glaubt, versteht nicht, von welcher zentralen Bedeutung der chinesische Markt für die deutsche Automobilindustrie ist. In diesem Jahr werden in China schätzungsweise 24 bis 25 Millionen Pkw verkauft. Das ist und bleibt der mit Abstand weltweit größte Automarkt. Also was passiert, wenn Sie sich von dort jetzt vorsichtig zurückziehen? Auf welche Märkte wollen Sie dann setzen? Das Gesamtvolumen auf Märkten wie in Südostasien oder Indien beträgt aktuell je rund drei Millionen Neuzulassungen. Damit erreichen sie zusammen nur rund ein Viertel des chinesischen Marktes. Ich halte es auch nicht für klug, sich von diesem Markt zurückzuziehen. Dort werden mehr und mehr die technischen Maßstäbe in Bezug auf Digitalisierung und Elektromobilität gesetzt. Wer auf diesem Markt nicht stark ist, wird es zunehmend auch in anderen Teilen der Welt schwer haben. Gleichzeitig gilt: Das Geschäft in China wird zunehmend riskanter. Die Hersteller werden versuchen, durch noch mehr Lokalisierung die Risiken für den Gesamtkonzern zu minimieren, auch weil die staatliche Unterstützung gegebenenfalls nicht mehr so stark sein wird. Da aber die Mobilität von morgen eine zentrale Rolle für den Klimaschutz spielt, sehe ich auch von staatlicher Seite keine Alternative zu Dialog und Kooperation.“
"Kurzfristig nicht, langfristig halte ich das für möglich. Jetzt unmittelbar hätten wir in den Mitgliedsstaaten der EU nur die Möglichkeit, nach dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zu reagieren. Also mit ebenso hohen, oder sogar höheren Subventionen für die Industrie hier in Europa. Mehr Protektionismus auch in Europa kann am Ende keine Lösung sein, das betreibt China im eigenen Land schon genug und hilft uns in Europa nicht weiter. Deswegen glaube ich, für eine echte Lösung werden wir länger brauchen. Das Ziel muss sein, eine Lösung innerhalb der WTO zu finden, um einen fairen Wettbewerb und weitreichenden Freihandel für die in der Wertschöpfung benötigten Rohstoffe und Komponenten insbesondere für Batterien zu vereinbaren. Europa muss eine Antwort auf die Frage finden, was Batteriezellhersteller dazu bewegen könnte, in Europa zu bleiben. Ein Ansatz könnte eine komplett grüne Batteriezellfertigung sein. Da setzen die amerikanischen Gesetze derzeit noch nicht so stark drauf und es wäre ein Alleinstellungsmerkmal mit wachsender Bedeutung. Um es noch einmal deutlich zu sagen: Wenn alles so bleibt, wie es ist, sehe ich eine große Gefahr, dass der Umbau der Industrie sich in Europa verzögert – mit gravierenden Auswirkungen auf Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit.“
„Das ist vielleicht der heimliche Wunsch des einen oder anderen in der deutschen Automobilindustrie, auch wenn es keiner so zugibt. Ich würde Ihre These mal andersherum drehen: Vielleicht tut es Tesla ja auch gut, wenn Elon Musk sich nicht mehr so einmischen kann? Ein großer Teil des technologischen Vorsprungs von Tesla hängt doch an genialen Köpfen, die wir von außen gar nicht sehen, die aber tief in der Organisation verankert arbeiten. Sie eint die Vision mit Elon Musk, die Branche auf den Kopf zu stellen. Dementsprechend glaube ich nicht, dass Teslas Vorsprung jetzt sehr schnell kleiner wird. Vor allem im Bereich Software und beim Batteriemanagement haben sie auch 2023 noch weiter große Vorteile. Das ist genau der Bereich, wo wir hier in Deutschland übrigens schwächeln. Im politischen Diskurs ist leider überhaupt noch nicht angekommen, dass die richtige Software voraussichtlich noch mehr über die Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der Automobilindustrie in Europa entscheidet als die Elektromobilität. Wenn wir es nicht schaffen, eigene europäische Betriebssysteme aufzubauen, könnte sich ein großer Teil der Wertschöpfung aus Europa verabschieden. Ob sich die Hersteller hier je auf ein System einigen können, ist noch mal eine ganz andere Frage. Aber wir sehen derzeit jeden Tag mit Sorgenfalten, was dabei herauskommt, wenn sie es nicht tun.“
"Dazu sage ich: ‚Ja, wenn…‘ Und das Wenn ist entscheidend. Die Politik muss klare Signale setzen, dass sie es mit den 15 Millionen BEV-Fahrzeugen bis 2030 auf deutschen Straßen wirklich ernst meint. Solange sich die öffentliche Debatte immer noch weiter um e-Fuels und Wasserstoff dreht, sorgt das immer wieder für Unsicherheit bei den Investoren, wo denn nun der klare Fokus gesetzt wird. Je klarer das 2023 wird, desto mehr werden wir Investitionen in Ladeinfrastruktur sehen. Ich mache mir im Moment wieder mehr Sorgen, ob für die Kunden überhaupt genügend wirtschaftlich attraktive Fahrzeuge und Modelle auf den Markt kommen. Dabei spielt auch der Strompreis eine wichtige Rolle, gerade an der Schnellladesäule im öffentlichen Raum. Die Preise, gerade für Schnellladen, müssen ein deutlicher Wettbewerbsvorteil gegenüber Benzin und Diesel sein – aktuell gleichen sich diese Preise ja eher an. Da sehen wir noch einen erheblichen Reformbedarf beim energiewirtschaftlichen Rahmen für den Wettbewerb um die Strompreise an der Ladesäule. In einer perfekten Welt würde die Ladeinfrastruktur zu den klassischen Verteilnetzen gehören und die Kosten für die Infrastruktur wären über die Netzentgelte abgedeckt. Dafür hätten wir freien Wettbewerb um die Preise für den Ladestrom. Aber diese Welt gibt es so nicht. Der Übergang zum batterieelektrischen Zeitalter ist leider holprig und wird das auch noch etwas bleiben. Es ist gut, dass auch die Mineralölkonzerne beim Aufbau der Ladeinfrastruktur stärker in die Pflicht genommen werden – in ihrem eigenen Interesse. Denn wenn die Nachfrage nach Benzin und Diesel sinkt, sehe ich in etwa fünf Jahren die ersten Tankstellenbetreiber auf die Bundesregierung zugehen und nach Subventionen für den Betrieb ihres Netzes gerade in strukturschwachen Regionen fragen. Ohne den Verkauf von Brötchen und Zigaretten wären viele Tankstellen doch schon heute nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.“
"Ach ja, die e-Fuels. Nein, e-Fuels werden keine Alternative zur Elektromobilität im Straßenverkehr sein – bestenfalls eine Ergänzung. Ich würde Ihre These hier gerne mit einem Bild untermalen: Sie sitzen im Restaurant und haben zwei Menüs zur Auswahl. Bei einem steht der Kellner mit dem Silbertablett schon hinter der Tür zur Küche mit zubereitetem Menü. Sie müssen es nur bestellen. Beim anderen Menü ist nichts fertig. Sie müssten das Huhn erst noch rupfen, oder die Möhre aus dem Garten zupfen. Es ist nicht einmal sicher, ob für dieses Menü genügend Zutaten verfügbar sind. - Wir reden über zwei Dinge, die niemals im gleichen Zeitraum und im gleichen Maße wettbewerbsfähig und wirksam sein können. Deswegen ist es kurios, wie kontrovers das Thema teilweise diskutiert wird. Unbestritten ist, dass wir e-Fuels in Bereichen benötigen werden, die schwierig mit Strom zu betreiben sind. Sicherlich im See- und Luftverkehr. Aber ich sehe darüber hinaus nicht, dass wir ausreichende Mengen an e-Fuels haben werden, damit diese Kraftstoffe zu einem Game Changer werden. Einen Durchbruch im Klimaschutz werden Sie nicht erreichen, wenn Sie ihrem Sprit einige wenige Prozent e-Fuels beimischen. Und für mehr wird man gar nicht so schnell die Produktionsanlagen aufbauen können. Die Mengen werden nicht da sein. E-Fuels sind ein Versprechen auf die Zukunft, bei dem wir absolut noch nicht wissen, was es mit sich bringt. Schon jetzt bei der Elektromobilität warten hinter jedem Hügel, den wir überwinden, noch mal zwei neue Hügel. Das wird anspruchsvoll genug, aber wir sind zumindest auf einem guten Wege. Transformation bedeutet nicht, dass wir sofort über den Berg sind, die Füße vom Gas nehmen und einfach wunderbar bergab rollen. So funktioniert es nicht und deswegen tun wir jetzt für den Klimaschutz und die Industrie gut daran, den Markt von Verbrennern auf Elektromobilität umzustellen.“
"Nein, tut mir leid. In den allergrößten Bereichen des weltweiten PKW-Markts sehe ich keine wirtschaftlich sinnvolle Anwendung für Wasserstoff-Fahrzeuge. Selbst Toyota, die mit ihrer Brennstoffzellen-Technologie weltweit sicher ganz vorne sind, ziehen die Investitionen in Richtung Elektromobilität immer weiter vor. Wir haben in einer kürzlich veröffentlichten Studie zusammen mit der Boston Consulting Group klar gezeigt: Die erfolgreichste Strategie für jeden Automobilhersteller ist, so schnell wie möglich auf batterieelektrische Fahrzeuge umzustellen. Natürlich wird es trotzdem einige Leute geben, die ein Wasserstoff-Auto kaufen wollen, aber das wird dann eher auf dem Level sein, wo es nicht in erster Linie auf Wirtschaftlichkeit im Massenmarkt ankommt. In den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren sehe ich keine signifikanten Marktanteile für Pkw mit Brennstoffzellen.“
"Ja, aber im Rahmen eines langen Prozesses. Sicher nicht von heute auf morgen. Lassen Sie mich hier etwas genereller werden: Wir brauchen die Verkehrswende, also effektiven Klimaschutz durch den Verkehrssektor, um die Mobilität von morgen zu sichern. Das ist eine der Kernaussagen von uns bei Agora. Wir werden weiter mobil sein, nur anders als derzeit. Für Personen und Güterwerden wir mehr Formen des Poolings brauchen. Das heißt, dass wir mehr und mehr den öffentlichen Nahverkehr mit Mobilitätsdienstleistungen wie Sharing und Pooling verbinden und mit einer Logistikwende die Auslastungen im Güterverkehr erhöhen. Mobilität definiert als Dienstleistung und nicht über den Fahrzeugbesitz. Diese Konzepte werden wir brauchen, denn ohne sie werden wir die Klimaziele nicht erreichen können. Es ist schade, dass wir derzeit in einem Prozess gesellschaftlicher Trägheit versäumen, dies den Menschen auch so zu erklären. Dementsprechend betrachte ich es mit Sorge, dass viele große OEMs aus dem Geschäft mit dem Carsharing wieder ausgestiegen sind. Da ging es dann in erster Linie um die Frage, wie diese Geschäftsmodelle konkurrenzfähig sein können im Vergleich zu privat genutzten Pkw, die nicht alle Kosten tragen, die sie verursachen. Die einzige Hoffnung, die ich habe, ist, dass wir durch die Verbindung mit dem ÖPNV weiter zu Innovationen in diesem Bereich kommen. Das ist der klimapolitisch und wirtschaftlich der richtige Weg und mein Hoffnungsschimmer für 2023, dass wir hier einige neue Konzepte und Ideen sehen werden."